Heute krähte der Hahn etwas früher als sonst. Die Wettervorhersage für die Drake-Passage fordert eine baldige Abfahrt, aber wir wollen uns die Möglichkeit nicht nehmen lassen, noch einmal an Land zu gehen, um uns richtig von der Antarktis zu verabschieden. Nach einem kleinen Anstieg haben wir von Felskuppen und Schneehügeln aus einen herrlichen Ausblick über die Melchior Islands mit ihren eisbedeckten, kleinen Eilanden und den dazwischen liegenden, schmalen Sunden. Drumherum liegt weit und offen die Dallmann Bay. Hier und dort treiben Eisberge, in der Ferne bläst ein Wal. Jeder sitzt irgendwo still und genießt diesen Moment im antarktischen Paradies. Auch das Wetter ist heute noch einmal ausgesucht freundlich.
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Dann ist es soweit. Die Beiboote werden verstaut und das Schiff mit Mensch und Maus seefest gemacht. Der Anker geht hoch, und zwischen den Inseln hindurch fahren wir in die Dallmann Bay hinaus, das offene Meer direkt vor dem Bug. Immerhin scheint die Sonne, es ist fast windstill, nur die Dünung erinnert uns daran, dass das kein Ententeich ist. Hinter uns leuchten die weiten Gletscher in der Sonne. Ein paar Wale winken direkt neben dem Schiff mit ihren Fluken wie zum Abschied.
29./30. Januar 2018 – Am Montag geht gar nichts. Wind, Wind, Wind. Pinguine gibt es nur in der Theorie an Bord, das dafür gleich dreifach. Ein unfreiwillig entspannter Tag auf dem Boot. Das gehört eben auch zum Leben in der Antarktis dazu.
Am Dienstag wird es dafür umso schöner. Der Wind ist fast komplett eingeschlafen. Wir genießen erst einmal einen ausgiebigen Morgen bei den Eselspinguinen auf Jougla Point, gefolgt von einem Besuch im „lebenden Museum“ („living museum“) von Port Lockroy, der ehemaligen, britischen Base A, gebaut 1944. Eine kleine Zeitmaschine, die einen in die Antarktis der 1950er Jahre zurückversetzt. Und der berühmteste Souvenirladen im Geltungsgebiet des Antarktisvertrages 😉
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Die anschließende Fahrt den Neumayer Kanal hoch ist noch einmal ein landschaftlicher Traum. Die Antarktis zeigt sich so wild und schön wie nur möglich. Die Abendsonne leuchtet über die Landschaft, während wir später aus der Gerlache Strait in die Dallmann Bay einfahren. Das tun wir mit etwas Wehmut, denn das bedeutet, dass wir morgen wieder über die Drake-Passage nach Norden fahren werden. Aber zunächst haben wir noch die Melchior Islands vor uns, wo wir nachher ankern und uns morgen von der Antarktis verabschieden können.
Die Fahrt in Paradise Harbour hinein ist ein etwas monochromer Traum aus Land und Meer, Bergen und Gletschern, Eisbergen und Inseln. Überall Robben auf dem Eis. Ein paar Wale ziehen ihre Runden. Die Walfänger haben Paradise Harbour den Namen zu Recht gegeben.
Die argentinische Station Almirante Brown, 1951 gebaut und nach einem Brand 1984 nur sporadisch genutzt, wird derzeit komplett renoviert. Es gibt die Idee, sie langfristig wieder rund ums Jahr zu betreiben. Mal sehen. Für den Moment zählt für uns, dass wir auf einen spontanen Besuch eingeladen werden, was meine kaum vorhandenen Spanischkenntnisse hart strapaziert, aber davon abgesehen eine sehr angenehme Sache ist. Die Sicht vom Panoramahügel in der Station ist unschlagbar, und das berühmte Herunterrutschen auf dem Schneehang auch nicht zu verachten.
Leider ist unser geplanter Ankerplatz um die Ecke schon belegt, und dort passt auch wirklich nur ein Boot hin. Also haben wir noch ein paar Stunden bis Port Lockroy vor uns. Ab Gerlache Strait wird es ziemlich windig. Die Anfahrt auf Port Lockroy läuft durch den spektakulären Peltier Channel, der von größeren Schiffen wegen einiger Untiefen gemieden wird. Eisig kalt im Wind, aber grandios schön. Ein paar hartgesottene Seelen verbringen die gesamte Passage des Peltier Channel draußen an Deck.
Bei Port Lockroy pfeift der Wind ebenfalls ordentlich, und es treibt einiges an Gletschereis. Aber es gibt ordentlichen Ankergrund und keinen Seegang. Mehr wollen wir für heute gar nicht mehr.
Nach der zweiten Nacht neben dem alten Walfangschiff, der Guvernoren, geht es heute weiter nach Süden. Spiegelblankes Wasser in der Wilhelmina Bay, die Sonne wärmt durch die dünnen Wolken, Eisberge treiben still im Wasser. Das einzige, was sich bewegt, sind wir – und Wale. Bald entdecken wir die ersten Buckelwale. Es kommen noch viele weitere in den nächsten Stunden. Überall sind kleine Grüppchen von 2-3 bis 6-7 Buckelwalen, die teilweise ziemlich aktiv sind. Wo man auch hinschaut, steigen die gebuckelten Rücken und die Fluken aus dem Wasser. Einmal springt sogar irgendwo ein Wal weit aus dem Wasser. Später haben wir die Wale ganz dicht am Boot – ein Erlebnis für (fast) alle Sinne. Auch der Geruch ist beeindruckend 😉
In der Gerlache Strait ist es ziemlich windig, und auch im Errera Channel ist es eher ungemütlich. Dafür ziehen die vielen Krabbenfresserrobben auf den kleinen Eisbergen die Aufmerksamkeit auf sich, und einmal fliegt sogar ein seltener Schneesturmvogel vorbei. Auch hier zeigen sich noch einmal die Fluken von Buckelwalen.
Galerie – Wilhelmina Bay – Waterboat Point – 27. Januar 2018
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Am Eingang zur Paradise Harbour (»Bay«) lassen wir bei Waterboat Point den Anker fallen, der durch Uferleinen ergänzt wird, so dass wir für die Nacht sicher liegen sollten. Wir machen einen abendlichen Besuch bei der chilenischen Station und der Pinguinkolonie, die die Station umgibt. Hier sind die Küken noch deutlich kleiner als auf den Südshetland Inseln; hier sind sie noch paarweise mit einem Elternteil am Nest. Auch einen der berühmten leuzistischen Eselspinguine sehen wir; diese haben eine Pigmentstörung und sind vollständig weiß.
Hier am Waterboat Point hat sich einmal ein bemerkenswertes, aber relativ unbekanntes Abenteuer zugetragen, als 1922 zwei Männer hier unter einem umgedrehten Boot überwinterten. Das taten sie freiwillig, um Forschung und Entdeckung zu betreiben, aber unter Bedingungen, die mehr als schwierig waren. Jeder kennt Shackleton und Scott, aber Bagshawe und Lester? Nun, vielleicht sind das doch zwei verschiedene Ligen, aber trotzdem – eine großartige Geschichte von Mut und Forschungsdrang, die nicht vergessen werden sollte.
Einen vollen Tag wollen wir hier bei Enterprise Island verbringen. Ausflüge machen, zur Ruhe kommen, Heinz die Zeit geben, seinen Maschinenraum auf Vordermann zu bringen. Zunächst scheint es draußen recht grau zu sein, so dass wir ganz in Ruhe in den Tag starten, aber dann ziehen wir los. Die Wilhelmina Bay liegt still wie ein Tischtuch vor uns und um uns. Die Wolken sind bedeutend dünner und löchriger, die Sonne dringt mit Kraft durch, und wir treiben eine ganze Weile in der Nähe eines großen Eisbergs, so dass die Natur alle unsere Sinne streicheln kann.
Ein Stück weiter nördlich sichten wir drei Buckelwale. Es ist zwar ein gutes Stück bis dorthin, aber die Sache war auf jeden Fall einen Versuch wert. Als wir in die Nähe kamen, schliefen die drei Wale tief und fest. Ruhig trieben sie dicht unter der Oberfläche, um ab und an mit einem tiefen Schnauben und Prusten zu atmen. Still und leise ließen wir unsere Boote in der Nähe eine Weile treiben, um den dreien beim Schlafen zuzuschauen, bis wir uns wieder verabschiedeten. Ein polares Paradies-Erlebnis.
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Kurz bevor wir die Anne-Margaretha wieder erreichten, passierten wir eine kleine Insel, und spontan gingen wir noch einmal an Land. Es ist ja immer schön, festen, antarktischen Boden unter die Füße zu bekommen, und dazu in so einer Umgebung und so einem Wetter. Still und warm war es, und nahe vor uns schimmerten die Eiswände, die auf Enterprise Island die Ufer bildeten.
Oben auf dem Felshügel schimpften schon die Möwen und ihre Küken zu uns herab, so dass wir unten blieben und auf eine „Bergtour“ verzichteten. Dafür genossen wir die antarktische Stille lange und in vollen Zügen.
So war aus einem kleinen Ausflug eine Tour von etwa vier Stunden Dauer geworden, und wir genossen es, den späteren Nachmittag ruhig und still auf dem Schiff zu verbringen, die Ausblicke zu genießen, die Seeschwalben auf dem Wrack des alten Walfängers zu fotografieren, die Bilderausbeute zu sichten oder einfach zu lesen. Abends schauten Rolf, Franz, Mareike und Samuel noch einmal mit dem Beiboot, ob in der Nähe vielleicht noch Wale unterwegs waren, aber da das nicht der Fall war, beendeten wir den Tag gemütlich an Bord.
Es war schon ein recht harter Ritt gestern die Bransfield Strait und Gerlache Strait nach Süden zur Antarktischen Halbinsel. Zunächst gab es noch ruhiges Wasser und Wale, aber später waren es Wind und Wellen.
Umso schöner war es, heute früh in Ruhe und Stille aufzuwachen. Sanftes Plätschern an der Bordwand statt hartes Schlagen der Wellen. Eisberge und eine weite schroffe, gebirgige, vergletscherte Küste. Der antarktische Kontinent!
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Bei Enterprise Island konnten wir am Wrack eines alten Walfangschiffes festmachen, das 1915 bei einem Brand hier auf Grund gesetzt wurde. Eine malerische kleine Bucht, von Eiswänden umgeben. Bald waren wir unterwegs, sind auf einer kleinen Insel mit alten Walfangbooten angelandet, haben Robben gesehen und Eisberge und Ufer aus steilen Eisklippen. Etwas Wind und Wellen gab es auch, nicht viel, aber genug, damit die dreistündige Tour am Ende doch etwas kühl wurde. Umso gemütlicher haben wir den Tag an Bord dann ausklingen lassen und freuten uns auf eine Nacht ohne Ankerwache.
Etwas müde nach der Ankerwache, aber sehr zufrieden mit dem, was Deception Island uns alles brachte, wurde morgens der Anker gelichtet. Wir wollen noch einen weiteren Tag bei den Südshetland Inseln verbringen. Es gibt dort ja doch ein paar Züge der eher subantarktischen Tierwelt, die wir später, weiter südlich, kaum noch antreffen dürften. Schön unter Segeln mit Kurs auf die McFarlane Strait, zwischen Livingston und Greenwich Island, kreuzten mehrere Buckelwale unseren Weg, und die Aussicht auf die wilde Küste von Kivingston Island im wechselnden Licht von Sonne und Wolken war grandios!
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Für ein kleines Schiff ist Yankee Harbour ein wunderbarer Naturhafen. Dort gab es noch mal viel Platz, um sich zu bewegen; so viel unvergletschertes Land wird es weiter südlich nicht mehr geben. Alles da wie erhofft: gleich am Ufer lagen mehrere See-Elefanten. Dazu einige Weddell-Robben und Seebären und unsere erste Pinguinkolonie. Eselspinguine! Klar, dass wir mit alledem viel Zeit verbracht haben, da gingen schnell ein paar Stunden ins Land und der Tag war dann auch bald vorbei.
So gründlich wie heute ist wohl selten ein Tag auf Deception Island. Es fing an mit einer recht spontanen Einladung zur argentinischen Base Decepcion. Mit Stationsbesuchen ist es ja manchmal so eine Sache, oft spürt man, dass sie wenig Lust auf Touristen haben. Die Argentinier hatten Lust. Sehr freundliche Leute.
Galerie – Deception Island – 22. Januar 2018 – Base Decepcion
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Natürlich mussten wir uns die alte Walfangstation in Whalers Bay anschauen, und das haben wir getan, wenn auch etwas gedrängt, weil kurz nach uns ein größeres Schiff dort eine größere Zahl Passagiere an Land setzte. So haben wir uns ein wenig aufs Nötige konzentriert und sind dann wieder abgedampft (im wahrsten Sinne!), um lieber woanders Ruhe zu haben.
Galerie – Deception Island – 22. Januar 2018 – Whalers Bay
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Ruhe fanden wir in Pendulum Cove. Auf die klassische Deception Island-Badeaktion war zwar gar keiner richtig heiß, aber dafür haben wir uns schön Zeit genommen und uns auf die Ruhe und Stille eingelassen. Zwei Weddellrobben lagen am Ufer, in der Nähe lief eine Skua herum. Weiter hinten lagen die Reste der chilenischen Station, die beim Ausbruch 1969/70 zerstört wurde. Aus einem Eisfeld in einem Tal trat ein schöner Schmelzwasserbach aus einer Eishöhle, und in der Nähe lagen noch ein paar riesige Tuffbrocken. Genug Stoff für einen kleinen, aber feinen Spaziergang.
Juhuu – wir haben die Drake-Passage hinter uns! Heute Nacht ging es zwischen Smith Island und Snow Island, den südöstlichen Ausläufern der Südshetland Inseln, hindurch und in die Bransfield Strait hinein. Das ist das Meer zwischen den Südshetland Inseln und der Antarktischen Halbinsel. Nicht, dass das Leben dort so wirklich gut gewesen wäre. Schön 6-7 Windstärken – und natürlich von vorn, klar. Daher haben wir uns den Gedanken, Richtung Yankee Harbor oder so zu fahren, direkt aus dem Kopf geschlagen und sind in Deception Island eingelaufen. Diese berühmte Vulkaninsel ist ja bekanntlich ein guter Naturhafen. Oft windig, aber zumindest vor Seegang geschützt. Und windig war es! Bis über 40 Knoten (geht schon gut Windstärke 8).
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Wie wunderbar ist es da, mit einem kleinen Segelboot unterwegs zu sein, das in eine kleine Bucht wie Stancomb Cove einlaufen und ankern kann, bestens geschützt wie in Abrahams Schoß. Wir haben uns erst mal schön gestärkt und sind dann direkt losgezogen. Festen Boden unter den Füßen und direkt eine feine Tour in dieser vulkanischen Mondlandschaft. Wild war es, mit horizontalem Schneefall und tiefen Wolken über düsteren Hügeln und Bergen. Schön.
Und abends gute Stimmung an Bord. Gutes Essen, ein schönes Glas dazu. Das Schiff ruhig vor Anker. Mal sehen, was uns morgen so erwartet.
Die großen Neuigkeiten, die hier die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sind der Wind, der mal mehr, mal weniger kräftig pustet. Nie ebbt er ganz ab, nie bläst er zu Sturm auf. Heute früh war es mit 25-30 Knoten (Stärke 6-7) wieder etwas mehr, heute Nachmittag hat es wieder nachgelassen. Bei kräftigerem Wind bringen die Segel natürlich mehr, und dann wird von Hand gesteuert. Dann sind die Wachen deutlich interessanter, denn dann hat man im wörtlichen Sinne ein Rad zu drehen. Jetzt bedeutet Wache gerade wieder nur noch, nach eventuellen Eisstücken Ausschau zu halten, von denen sich bislang aber keines hat blicken lassen.
Dabei sind wir gar nicht mehr weit weg. Die Antarktische Konvergenz (ozeanographisch-biologische Grenze zur Antarktis) und den 60. Breitengrad (politische Grenze) haben wir gestern schon passiert. Nun sind die Südshetland Inseln keine 40 Seemeilen mehr entfernt. Bei klarem Wetter könnte man die höheren Inseln schon sehen, aber es ist bedeckt, dafür hängen die Wolken vielleicht etwas zu tief.
Der klare Publikumsrenner heute waren die Schwertwale, die mittags dicht beim Schiff auftauchten! Sie scheinen richtig neugierig auf uns geworden zu sein, alle aus der kleinen Herde kamen nahe vorbei. Beeindruckend, wie sie aus den großen Wellen auftauchen, um gleich wieder darin zu verschwinden. Ein toller Anblick! Solange man selbst kein Pinguin ist.
Die in den letzten Tagen recht karge Seevogelwelt ist nun durch Kapsturmvögel und gelegentliche Südliche Eissturmvögel bereichert, die das näher kommende Land ankündigen. Morgen sollten wir zum ersten Mal die Gelegenheit haben, antarktischen Boden zu betreten, und wir freuen uns alle drauf, das kann man wohl sagen!
18.-19. Januar 2018 – Nun sind wir also wirklich unterwegs! Mittwoch ging es noch mal durch den Beagle-Kanal, und Donnerstag erreichten wir zu früher Stunde die offene See. Seitdem hatten wir windtechnisch alles zwischen Stärke 4 und 8, so dass das Leben an Bord durchaus nahezu komfortabel ist, jedenfalls gemessen an den Erwartungen, die man in der Drake-Passage auf einem 22-Meter-Boot realistischerweise haben sollte. Was nicht heißt, dass nicht mal ein wenig die Fische gefüttert werden, aber es hält sich in Grenzen.
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Wir haben im Wachschema eine Routine entwickelt, die uns einen gewissen Halt im ansonsten recht indifferenten Lauf der Zeit gibt, und nun hangeln wir uns durch die Tage, von Wache zu Wache. Acht Stunden frei und vier Stunden Wache für alle, eingeteilt in Gruppen, so dass alle sich am Steuer abwechseln. Meistens verbringt man jeweils eine halbe Stunde am Ruder und wird dann abgelöst. In Fällen von Seekrankheit oder sonstigen unguten Gründen wird natürlich keiner zu irgend etwas gezwungen, aber insgesamt ist der halbwegs regelmäßige Gang an die frische Luft eine willkommene Unterbrechung des Alltags im Schiff, der weitgehend aus Schlaf, Halbschlaf, Lesen, Essen und Unterhaltungen besteht. Draußen sein, alleine oder zu zweit an Deck und die Zeit mit Wind, Wellen und gelegentlich vorbeifliegenden Riesensturmvögeln oder Schwarzbrauenalbatrossen zu teilen, ist eine feine Sache. Die Zeit vergeht langsamer, und dieser verrückte Drang, ständig irgendetwas erledigen zu müssen, ist schon hinterm Horizont zurückgeblieben. Maritime Routine, die sich immerhin in unserem Fall nicht über Wochen, sondern „nur“ über etwa 4 Tage erstrecken wird. Am Sonntag sollten wir die Südshetland Inseln erreichen.
Während ich diese Zeilen schreibe (17.1. vormittags), laufen die Vorbereitungen für unser zweites und dieses Mal sicher endgültiges Auslaufen (sowie fürs Mittagessen) und bald geht’s los! 🙂
Auf so einem kleinen Schiff läuft alles viel persönlicher – auch der offizielle Teil, und so gingen wir alle zusammen morgens zur Immigrationsbehörde, um uns eben persönlich und offiziell von Argentinien zu verabschieden. Das lief kurz und schmerzlos, so dass wir bald die Leinen loswerfen und in den Beagle-Kanal einfahren konnten – der erste, kleine Schritt einer großen Fahrt und ein schöner Augenblick.
Das Wetter wechselte hochfrequent, so dass wir uns wechselweise an Sonne, etwas Regen und gelegentlich ein paar recht heftigen Hagelschauern erfreuen konnten. Dabei wechselte der Wind von kaum vorhanden bis auf steife Brise und zurück, aber immer aus östlicher Richtung, so dass wir die Segel schon mal zumindest unterstützend einsetzen konnten, während wir genossen, wie die grüne, gebirgige Landschaft – links Argentinien, rechts Chile – an uns vorbeizog.
Am Ausgang des Beagle-Kanals stoppte Heinz das Schiff, während wir gemütlich beim Essen saßen, um vor Fahrt in die offene See hinaus noch schnell ein Teil an einem Generator im Maschinenraum auszutauschen – eine kleine Routine-Wartungsangelegenheit, wie man dachte. So war es aber dann doch nicht. Leider war in Ushuaia das falsche Teil geliefert worden, genauso aussehend, aber an einer entscheidenden Stelle einen Millimeter zu groß und somit nicht passend. Es blieb nichts anderes übrig, als den Kurs um 180 Grad zu drehen und noch einmal Ushuaia anzulaufen – eine Fahrt in die Antarktis ohne Schiffstechnik vollständig in einwandfreier Funktion kam nicht infrage, wir wollten auch nicht Gefahr laufen, unsere Nudeln demnächst mangels Strom ungekocht zu essen.
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Für die Mitglieder der 20-24 Uhr Wache gab es dafür noch ein Delfinballett: zwei Delfine sprangen neben dem Schiff synchron aus dem Wasser und drehten dabei eine Pirouette!
Es ist ein langer Ritt von Mitteleuropa in den südlichsten Süden Südamerikas, von Frankfurt über Buenos Aires nach Ushuaia. Schön ist es, nach 38 Stunden ab Haustür endlich in einem kleinen Hotelzimmer eine horizontale Position ennehmen zu können.
Aber diesen eher weniger erbaulichen Teil muss man nun mal zu Beginn einer solchen Reise über sich entgehen lassen. Macht nichts! Dafür sitze ich jetzt schon gemütlich auf der Anne-Margaretha, diesem niederländischen Zweimaster mit seinem soliden Stahlrumpf, der uns in den nächsten Tagen in die Antarktis und im März nach Patagonien bringen wird (unter uns gesagt: für die Patagonien-Fahrt ist noch eine Zweierkabine zu haben!).
Die Anne-Margaretha (links) im Yachthafen von Ushuaia.
25 Tage von Ushuaia bis Ushuaia. Eine beeindruckende Dimension, schon rein zeitlich gesehen! Die meisten Schiffe sind schon nach 10-11 Tagen wieder im Hafen.
Eigner und Skipper Heinz Wutschke und seine vierköpfige Mannschaft wuseln noch eifrig herum, um das Schiff auf Vordermann zu bringen. Unsere Mitreisenden sind natürlich schon in Ushuaia, teilweise hatten wir gestern Abend bereits die Gelegenheit, schon mal auf eine schöne Reise anzustoßen.
Rolf macht es sich in Ushuaia auf der Anne-Margaretha gemütlich.
Heute wird es also losgehen. Wobei das nicht unbedingt bedeuten muss, dass wir heute schon weit fahren werden. Ganz im Gegenteil werden wir den Hafen wohl erst morgen verlassen. Wenn wir am Mittwoch, also übermorgen, aus dem Beagle-Kanal in die Drake-Passage einfahren, sollten wir mit etwas Glück bis zu den Südshetland Inseln gute Segelwinde haben ☺ und das wäre natürlich schon sehr viel Wert. Ich denke, dass wir alle Respekt vor der Drake-Passage haben, und günstige Winde wären auf jeden Fall ganz, ganz hervorragend.
Blick in den Beagle Kanal: dahin geht’s morgen los!
Also nutzen die meisten den Tag noch für Ausflüge in der Umgebung, etwa zum Nationalpark, und zum Abendessen sehen wir uns dann nachher alle erstmalig zusammen hier an Bord.
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P.S. wie gewohnt, werde ich diesen Reiseblog in den nächsten Wochen mehr oder weniger regelmäßig ergänzen. Ob das klappt, hängt davon ab, ob ich genug Empfang fürs Satellitentelefon habe und Zeit, mich damit zu beschäftigen – sicher nicht in der Drake-Passage, weil ich mich da kaum mit dem Rechner an Deck setzen werde. Trotzdem: schaut immer mal wieder herein! Früher oder später wird es sich lohnen!
Und nach Ende der Reise wird es natürlich anstelle der wenigen, kleinen Bilder, die ich zunächst via Satellit schicke, ordentlich Bildergalerien geben, so dass es sich lohnen wird, auch dann noch mal reinzuschauen.
Jetzt geht die Antarktis-Fahrt mit Rolf und dem Zweimast-Segelschiff SY Anne-Margaretha los! Natürlich gibt es dazu wieder einen Reiseblog (hier klicken). Berichte beginnen in den nächsten Tagen und werden wieder via Satellit an den Webmaster übertragen (so die Technik funktioniert) und von ihm veröffentlicht und tags darauf in Facebook verlinkt.