Die Expedition des Australiers Douglas Mawson (1882-1958) gehört zu den ganz großen Überlebensgeschichten der Antarktis. Mawson hatte bereits an Shackletons Nimrod-Expedition (1907-09) teilgenommen und dabei an der ersten Besteigung des Mount Erebus und der ersten Erreichung des antarktischen Magnetpols teilgenommen.
Douglas Mawson.
1910 schlug er eine Einladung von Scott aus, an der Terra Nova Expedition teilzunehmen, um stattdessen eine eigene Expedition auf die Beine zu stellen. Offiziell wurde dieses Unternehmen die Australasian Antarctic Expedition genannt. Am 02. Dezember 1911 verließ die Expedition mit dem ehemaligen Walfänger Aurora und 36 Männern an Bord Hobart auf Tasmanien. Zu den Teilnehmern gehörten u.a. Frank Wild (siehe unten) und Frank Hurley, dessen Fotografien von Shackletons Endurance-Expedition weltberühmt werden sollten.
Das Ziel der Australasian Antarctic Expedition waren geographische Forschungen und wissenschaftliche Arbeiten wie Geologie und Geophysik (Meteorologie, Erdmagnetismus) im Küstenstreifen der Antarktis südlich von Australien. Dieser Bereich war damals praktisch völlig unbekannt, nur das benachbarte Adélie Land war 1840 von Dumont d’Urville gesehen worden.
Zunächst wurde auf Macquarie Island eine Station eingerichtet, in der 5 Leute überwinterten. Mithilfe dieser Station konnte der Radiokontakt mit Australien aufrecht erhalten werden.
Anfang 1912 erreichte die Aurora die zuvor unbekannte Commonwealth Bay. Am 08. Januar 1912 landete Mawson auf Kap Denison, wo die Überwinterungshütte gebaut wurde. Ein zweites Camp wurde weiter westlich auf dem Eisschelf errichtet.
Die Hütte der Australasian Antarctic Expedition am Kap Denison, Commonwealth Bay.
Commonwealth Bay erwarb sich während der Expedition den unguten, bis heute gültigen Ruf, der windigste Ort der Erde zu sein: katabatische Winde (Fallwinde von Gletschern) erreichen dort extreme Geschwindigkeiten von bis zu 300 km/h. Die übers Jahr gemittelte Windgeschwindkeit beträgt beeindruckende 80 km/h, also Windstärke 9 oder „Sturm“ auf der Beaufortskala. Diese extremen Windverhältnisse waren eine kaum vorstellbare Belastung für das Leben und Arbeiten während der Expedition.
Von Hütte am Kap Denison und dem Camp im Westen auf dem Eisschelf aus starteten insgesamt 5 Erkundungsreisen. Die 8 Männer im westlichen Camp wurden von Frank Wild geführt, der bereits an Scotts Discovery-Expedition teilgenommen und mit Shackleton auf der Nimrod gefahren war. Später machte er mit Shackleton noch zwei weitere Expeditionen (Endurance und Quest). Eine Gruppe stieß vom West-Camp aus nach Westen vor und erreichte den Gaußberg, der 1902 während der Gauß-Expedition von Erich von Drygalski entdeckt worden war.
Mawson leitete die „Far Eastern Party“, die neben ihm aus dem Schweizer Xavier Mertz und dem Briten Belgrave Ninnis bestand. Mertz war Bergsteiger, Ninnis Offizier. Die Gruppe verließ die Hütte in der Commonwealth Bay am 10. November 1912 und verbrachte 5 Wochen sehr erfolgreich damit, die Küste zu vermessen und geologische Proben zu sammeln. Am 14. Dezember 1912 überquerte Mawson, Mertz und Ninnis einen Gletscher. Mertz lief auf Skiern vorweg und Mawson folgte auf einem Hundeschlitten, beide hatten ihr Gewicht somit auf größerer Fläche verteilt. Ninnis folgte zu Fuß neben dem zweiten Schlitten laufend und stürzte durch eine Schneedecke in eine Gletscherspalte. Zusammen mit ihm verschwand der zweite Schlitten mit den 6 besten Hunden, den meisten Vorräten, dem Zelt und wichtiger Ausrüstung. Mawson und Mertz konnten in über 50 Metern Tiefe 2 Hunde erkennen, von denen einer noch am Leben war. Ninnis war und blieb in der Tiefe verschwunden. Der Gletscher heißt seitdem Ninnis Glacier.
Mawson und Mertz hatten nur noch eine Wochenration an Lebensmitteln, waren aber 480 Kilometer von der Commonwealth Bay entfernt. In einem Gewaltmarsch erreichten sie ein auf dem Hinweg zurückgelassenes Zelt. Auf dem weiteren Weg schlachteten sie Hunde, um damit die übrigen Hunde zu füttern und selbst von dem Fleisch zu leben.
Der Gesundheitszustand beider Männer ließ rapide nach, sie litten an Schwindelgefühlen, Übelkeit, Bauchschmerzen, Anfällen von Irrationalität, schmerzhaften Analfissuren, dem Ausfallen von Haaren und Nägeln sowie Gelbfärbung und Abfallen von Haut – ein Zustand, der schon in einem Krankenhausbett mehr als unangenehm wäre, einen aber bei einem wochenlangen Gewaltmarsch durch Sturm und Kälte an die äußersten Belastungsgrenzen bringt. Für Mertz ging es leider noch darüber hinaus: Mit Durchfall und geistiger Umnachtung verschlechterte sich sein Zustand weiter, er wurde aggressiv, biss sich selbst die Spitze seines kleinen Fingers ab und konnte von Mawson nur mit Gewalt von der Zerstörung des Zeltes abgehalten werden. Schließlich fiel er ins Koma und starb am 08. Januar 1913.
Man geht davon aus, dass neben Kälte und Erschöpfung der Konsum von Hundeleber eine entscheidende Rolle für den schlechten Zustand beider Männer und für Mertz‘ Tod gespielt hat. Die Leber von Schlittenhunden enthält Vitamin A in toxischer Konzentration. Es scheint, dass Mertz mehr von der zarteren Leber gegessen hat, während Mawson mehr von dem zäheren Fleisch zu sich nehmen konnte, was den noch schlechteren Zustand von Mertz erklären würde. Allerdings war Mertz strikter Vegetarier gewesen, möglicherweise hat die erzwungene Umstellung auf Fleisch seinen Organismus zusätzlich überfordert. Zum Andenken an Mertz erhielt der Mertz Glacier seinen Namen.
Mawson musste die letzten 160 Kilometer zur Hütte in der Commonwealth Bay alleine zurücklegen und starb beinahe beim Sturz in eine Spalte. Als er schließlich Kap Denison erreichte, traf er dort nur noch 6 Männer an, die zurückgeblieben waren, um ihn zu erwarten; die Aurora war nur wenige Stunden vorher gefahren, Mawson konnte sie sogar noch als Punkt am Horizont erkennen. Über Funk konnte sie gerufen werden, aber Eis verhinderte ihre Rückkehr, so dass der Gruppe am Kap Denison nichts übrig blieb als eine zweite Überwinterung.
Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Australasian Antarctic Expedition waren so umfangreich, dass ihre Veröffentlichung erst 1975 von Mawsons ältester Tochter abgeschlossen wurde. Bekannt geworden ist sie aber vor allem durch die Far Eastern Party und Mawsons Überlebenskampf, den er in dem berühmten Buch Home of the Blizzard schilderte, das 1921 auf deutsch mit dem Titel Leben und Tod am Südpol erschien. Douglas Mawson ist in Australien bis heute Nationalheld.