Di
28 Feb
2017
Mit Antarktis-Forschungsstationen ist es so eine Sache. Sie sind interessant, sie versorgen die Welt mit viel bedeutendem Wissen. Sie sind politisch, ein Machtfaktor im Antarktis-Vertragssystem, immer die Fahne im Wind. Sie sind spannend, von historisch-gemütlich bis modern-futuristisch. Wenn man in der Antarktis ist, will man so etwas auch exemplarisch kennenlernen.
Dabei sind diese Stationen nicht gerade ein Hort natürlicher Schönheit und ökologischer Unberührtheit. Wenn jemand in der Antarktis langlebige Spuren hinterlassen hat, unvergängliche Spuren menschlicher Präsenz und Aktivität und darunter auch Spuren der Zerstörung, dann sind es diese Stationen (und übrigens nicht Touristen). Jedenfalls gehören Stationen zu diesen Orten, von denen vorher viele sagen, das ist ganz spannend und wichtig, da will ich hin, das muss ich sehen, und hinterher sagt man gerne, Natur wäre doch auch schön gewesen.
Die berühmte, US-amerikanische McMurdo Base ist in jeder Hinsicht ein Prachtexemplar. Ein Prachtexemplar an Größe, an visueller Wucht und politischer Macht. Hier laufen die logistischen Stränge für die Amundsen-Scott Base am Südpol genauso zusammen wie für die anspruchsvollen, großen Forschungsunternehmungen im »deep field«, ganz, ganz weit weg, Eisbohrungen und so, wie die ständigen Aktivitäten in der vergleichsweise nahen Umgebung: Dry Valleys, Ross Ice Shelf, Mount Erebus.
In der sommerlichen Hochsaison sind gut 1000 Leute in der McMurdo Station beschäftigt.
Man mag es Zufall nennen oder den Grund in der allgegenwärtigen Suche nach einer möglichst weit südlich gelegenen Stelle für eine Basis sehen: Am gleichen Ort überwinterte Scott 1902 mit seiner ersten Antarktis-Expedition mit der Discovery. Am Hut Point, ein paar Minuten zu Fuß von der McMurdo Station entfernt, steht noch heute die Discovery Hütte (hier klicken für 360-Grad-Eindrücke von der Discovery Hut). Gewohnt wurde allerdings auf dem Schiff, der Discovery, die direkt nebenan im Eis lag, daher wurde die Hütte nicht so solide gebaut und wohnlich eingerichtet wie die Hütte am Cape Evans.
Und das ist für heute das Programm. Das Wetter sieht prima aus und soll auch zunächst so bleiben, eine Wetteränderung ist erst für den Abend angesagt, und die Amerikaner haben ihr Stationswetter ganz gut im Griff, wie man hört. Darauf komme ich nachher noch einmal randlich zurück. Jedenfalls stand dem Hubschrauberflug von der Festeiskante zur McMurdo Station nichts im Wege. Im Gegenteil, die Sonne strahlte vom blauen Himmel. Herrlich!
Beim Besuch vor vier Jahren waren die Amerikaner allen unguten Klischees konsequent gerecht geworden: Es gab nicht mehr als den Hinweis, man sollte möglichst schnell und berührungsfrei die Wege entlang schweben und nicht nach links und rechts schauen, zur Discovery-Hütte am Hut Point pilgern und bei Bedarf auch auf den Observation Hill auf der anderen Seite. Fragen nach Blicken nach links und rechts wurden eindeutig beantwortet: »that is not authorized, and I am not authorized to authorize this.«
Klare Worte. Ganz anders heute: Sehr gastfreundlich und zuvorkommend werden wir empfangen, man hat eine ganze Gruppe von »locals« organisiert, die uns in kleinen Gruppen durch einige der wichtigen Einrichtungen führen. Das riesige Labor mit dem kleinen Museum, die Kommunikationszentrale, die Kapelle (ja, so etwas gibt es), das Kaffeehaus (wo wir entgegen sonstiger Antarktis-Gewohnheit an Land Mittag essen, es gibt mitgebrachte Stulle), ach ja, einen Souvenirshop gibt es natürlich auch.
Galerie – McMurdo Station – 28. Februar 2017
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Am Hut Point konnte man viel Zeit verbringen mit dem Blick über die Station, das nahe Festeis, und natürlich mit dem Besuch der Hütte selbst. Ein weiterer heiliger Gral der Antarktis-Geschichte, nach der Terra Nova Hütte am Cape Evans gestern.
Dann steht am anderen Ende der Station der Observation Hill. Ein steiler Hügel aus Vulkangestein, wie alles hier, mit einem Pfad, der bis auf den kleinen Gipfel in etwa 230 Metern Höhe führt. Eine prächtige Aussicht hat man vom Kreuz, das an das Schicksal von Scott und Begleitern erinnert, die Anfang 1912 auf dem Rückweg vom Südpol ums Leben kamen. Beinahe kann man in der Ferne die Stelle sehen, wo sie ihr letztes Lager hatten. Die Toten und ihr Zelt wurden nie geborgen, sie stecken nun irgendwo in der Tiefe im Eis des Ross Eisschelf.
Unsere Bergung steht kurz bevor, die Hubschrauber kreisen schon wieder, dann wird es noch einmal spannender als nötig. Der für heute Abend angesagte Wetterwechsel hat sich ein paar Stunden früher als vorhergesagt eingestellt, Wolkenschleier ziehen auf, es wird windig. Die vorher so angenehme Wärme der Sonnenstrahlen wird schlagartig abgeschnitten, die eisige Luft entfaltet ihre Wirkung mit kalter Wucht. Nun müssen wir nicht im Freien warten, hier wird niemand erfrieren oder verhungern, aber die Sicht, auf die unsere Piloten angewiesen sind, wird beeindruckend schnell schlechter. Hubschrauber um Hubschrauber verringert sich die Anzahl der Wartenden um jeweils vier oder fünf Leute. Schließlich sind alle Passagiere an Bord, nur noch zwei Hubschrauber für uns Guides, aber ich zweifele beinahe, dass es noch reicht … der nächste Hubschrauber hebt ab, mit zwei Kollegen stehe ich am Landeplatz und wir warten gespannt, ob wir das laute Brummen der Motoren bald wieder hören können.
Der Observation Hill ist schon nur noch eine Silhouette in noch dünnen Nebel, aber ob das reicht? Wenn nicht, dann werden wir die amerikanische Gastfreundschaft wohl unfreiwillig für ein paar Tage genießen können. Über den daraus entstehenden Ärger mache ich mir lieber keine Gedanken. Muss ich auch nicht, bald ertönt das beruhigende Knattern, und Augenblicke später setzt Julio, der Älteste der drei Piloten, seinen Hubschrauber zielgenau auf den Boden. Dass er es eilig hat, sieht man auf dem Rückflug. Gottseidank hängt der Nebel nur um die Station herum, nach wenigen Augenblicken ist es so klar, als könnte hier nie ein Wölkchen den Himmel trüben, und kurz darauf sind wir alle wieder an Bord. Halleluja!