Fotos und Reisebericht von der Rossmeerfahrt im Januar-Februar 2015 mit der MV Ortelius sind bereits online einzusehen. Nun ist auch die erste Sammlung von Panoramafotos veröffentlicht. Am Kap Evans ergab sich die seltene Gelegenheit, die Hütte von Scotts letzter Expedition (mit der Terra Nova, 1910-1913) und Umgebung ausgiebig mit Panoramatechnik zu fotografieren. Die Ergebnisse sind nun auf dieser Seite zu sehen (hier klicken). 10 Panoramen, 8 davon in der Hütte aufgenommen, führen durch alle Winkel der Hütte und bieten Rundumblicke über Kap Evans und die Landschaft drumherum: Mount Erebus und der innere McMurdo Sound, südlich von Kap Evans zugefroren. Hut Point Peninsula und die kleinen Inseln wie Razorback Island und Inaccessible Island, bekannt aus Scotts Reisebericht, sind zu sehen, kurze Kommentare erläutern die Bilder. Vor allem aber führt eine virtuelle Tour den Besucher durch alle Teile der berühmten Hütte, von der Robert F. Scott zum Südpol aufbrach. Bekanntermaßen starb er mit 4 Begleitern auf dem Rückweg.
09.-10. Februar 2015 – Nun liegt das Ende der Reise schon eine Woche zurück, einen letzten Blog-Beitrag muss es aber noch geben, wir können die Ortelius ja nicht bei Campbell Island zurücklassen.
Am 09. Februar erfreute der Anblick der sanft rollenden Hügel von Stewart Island, am zunächst am Horizont und dann langsam aber sicher näher rückend, die Augen aller, und das war wohl auch das Signal für die Albatrosse, sich gegen Mittag stillschweigend von uns zu verabschieden. Übrigens waren in den letzten Tagen auch noch Weißkappenalbatrosse darunter. Zugegeben, ich hatte sie zunächst für juvenile Campbell-Albatrosse gehalten. So was passiert. Aber nein, es waren voll ausgewachsene Vertreter einer Art, die ich noch nicht gesehen oder zumindest noch nie bewusst wahrgenommen habe. Wunderbar!
Das Ende einer großen Reise ist ja immer erstaunlich profan. Pässe werden gestempelt (dauerte erstaunlich lange), Gepäck vom Schiff aufs Trockene gebracht (ging halbwegs schnell), Hände geschüttelt (zuwenig Zeit), und dann gefühlt unendlich viele schwere Lebensmittelkisten für die nächsten 32 Tage in den tiefen Bauch des Schiffes geschleppt (dauerte viel zu lange). Momente der Entspannung in einem Café, welches der südlichste Außenposten seines global bekannten Mutterkonzerns sein will, in Invercargill (ein Nest) und in einer Kneipe in Bluff (dagegen ist Invercargill eine Großstadt) mit den Kollegen. Einen Tag später der Beginn einer ätzend langen, aber leider unvermeidlichen Reihe von Flügen, einmal halb um den Planeten.
Unterdessen ist die Ortelius schon wieder unterwegs, und nun, ein paar Tage später, ist sie auf gutem Weg ins Rossmeer. Campbell Island war auf dem Weg nach Süden freundlicher als ein paar Tage zuvor auf dem Weg nach Norden, soviel war schon zu hören. Nun bleibt nur, dem Schiff und allen an Bord die Daumen zu drücken für eine gute, erlebnisreiche Fahrt ins Rossmeer und darüber hinaus!
Das war’s vorerst mit meinem Antarktis-Reiseblog. Nicht lange, dann geht es in der Arktis weiter. Vorerst aber gibt es jetzt den Reisebericht und ausführliche Fotogalerien dieser Rossmeer Fahrt, und natürlich werden in den nächsten Wochen ein paar Ergebnisse meiner panorama-fotografischen Bemühungen sichtbar werden, und ich sage: es wird sich lohnen. Anfang 2013 hatte die Polar-Panoramafotografie für mich im Rossmeer ihren etwas mühsamen Anfang genommen, aber die 2 Jahre habe ich gut genutzt. Also schaut rein. Nach der Fahrt ist vor der Fahrt.
Falls die Überschrift bekannt vorkommt: Das soll so sein, das passt hier einfach zu gut. Unsere frühmorgendlichen Annäherungsversuche bei Campbell Island waren klar zum Scheitern verurteilt, Windgeschwindigkeiten von 40-50 Knoten ließen es nicht einmal zu, sich mit dem Schiff mehr als nur kurz in Perseverance Harbour aufzuhalten, der einzigen richtigen Bucht dort, die vor Seegang schützt, den Westwind aber kanalisiert und somit eher noch verstärkt. Es konnte keine Rede davon sein, Anker zu werfen oder gar die Zodiacs aufs Wasser zu setzen.
Angesichts bereits etwa 30 windigen Stunden Aufenthalt bei Campbell Island, auslaufender Zeit und einer wenig Erfolg verheißenden Wettervorhersage war der Fall damit klar: Ab auf hohe See, Kurs auf Bluff, unseren Zielhafen in Neuseeland. Campbell Island war uns einfach nicht vergönnt. Oder, wie eine Mitreisende es so schön und treffend formulierte (eigene Übersetzung): eine Insel hat das Recht, ’nein‘ zu sagen.
Der Tag auf See war einigermaßen achterbahnartig, wenn man von Wasserstraße sprechen kann, dann hat diese Straße eine Menge Schlaglöcher. Rocks on the Road. Aber wer hier wohnt, fährt auch nicht Auto oder Fahrrad und geht schon gar nicht zu Fuß. Wer hier wohnt, wurde von der Natur mit eleganten und hochausgeklügelten Flügeln ausgestattet und hat überhaupt kein Problem damit, gelassen zentimeterdicht über Wellen hinwegzugleiten, die anderen die Lust aufs Frühstück vergehen lassen. Mehr als ein Dutzend riesiger Königsalbatrosse kreist gemächlich um das Schiff herum, um alle paar Minuten erneut dicht an denjenigen vorbeizugleiten, die sich für das Schauspiel begeistern und wie angeschraubt an Deck stehen. Alle paar Minuten gehen Blicke und Kameras hoch, wenn die großen Könige oder ihre etwas kleineren Verwandten (Untertanen?) auf ihren weiten Umlaufbahnen, scheinbar Keplers Gesetzen gehorchend, an unserem kleinen Planeten name ns Ortelius vorbeirauschen.
Für ein paar goldene Momente ist dieses Vergnügen abends sogar vor der hinter einer tiefen Wolkenbank verschwindenden Sonne zu haben.
Der Südozean – das hört sich so nach Südsee an – das sind die brüllenden Vierziger, die wilden Fünfziger und die schreienden Sechziger. Auf deutsch hört sich das wohl ziemlich komisch an, man denkt da vielleicht eher an einen etwas außer Kontrolle geratenenen Männergesangsverein als an die windigsten Breitengrade des Planeten. Bei den roaring forties, den furious fifties und den screaming sixties weiß man gleich Bescheid.
Heute röhren die Vierziger wie die Hirsche im herbstlichen Wald, das ist an sich schon ein Spektakel. Natürlich konnte so keine Rede davon sein, entlang der wilden Klippen von Campbell Island auf Zodiactour zu gehen, auf der Suche nach Gelbaugen- und Felsenpinguinen und den diversen Albatrossen und Seelöwen, die es hier so gibt, geschweige denn, an Land zu gehen. Wie war das mit dem Berg und dem Propheten … Albatrosse zu Dutzenden ums Schiff herum, und geduldiges Warten wurde über kurz oder lang auch mit dem Anblick eines vorbeiplanschenden Gelbaugenpinguins und eines über die Wellen springenden Seelöwen belohnt. Habe ich jemals schon soviele der Großen Albatrosse auf einem Fleck gesehen? Ich glaube kaum. Zeitweise über 20 der „Großen“, darunter versteht man Wander- und Königsalbatrosse. Wahrscheinlich waren es allesamt Könige.
Kaum weniger interessant war der Blick auf den Windmesser. 40-50 Knoten, also 70-90 km/h, reichen eigentlich völlig aus. Spannend waren die Böen. Bis zu 84 Knoten wurden beobachtet, das sind gut 150 km/h. Windstärke 12 auf der berühmten Beaufort-Skala fängt bei 64 Knoten an, darüber hinaus ist nichts mehr definiert. Ab 64 Knoten heißt das Orkan. Wie gesagt, 84.
Hier drücken jetzt alle die ganze Nacht lang alle Daumen, dass es bis morgen früh ein wenig ruhiger wird. Dann stehen wir nämlich kurz nach Sonnenaufgang auf Campbell Island. Wäre doch noch etwas, so als Sahne auf dem Kuchen.
04.-05. Februar 2015 – Es war klar, dass es nicht ewig so schön ruhig bleiben würde. Nun, beschweren können wir uns nicht, der Wind kommt aus südlicher bis südwestlicher Richtung, so dass er uns nicht verlangsamt und somit keine wertvolle Zeit kostet. Zeit ist immer ein Schlüsselfaktor auf einer solchen Reise. Aber man merkt jetzt doch, dass wir auf einem Schiff sind. Einige sind begeistert von den großen Wellen, andere weniger.
Wer sich warm einpackt und draußen steht – das Achterdeck auf Ebene 4 ist mit Abstand der beste Platz, um Vögel zu sehen zu zu fotografieren, dort trifft man sich – bekommt eine Menge geboten. Wir sind wieder in den Albatrosbreiten, den furious fifties, die ihrem Namen nun eine gewisse Ehre machen. Bullers Albatros, Wanderalbatros, Südlicher Königsalbatros, Campbell-Albatros, Rußalbatros, habe ich einen vergessen? Dazu diverse Feensturmvögel, die omnipräsenten Kapsturmvögel und andere, deren Namen ich auf deutsch gar nicht kenne: Soft-plumaged petrel, Mottled petrel, Shearwater … man bekommt hier eine Menge geboten. Glücklich, wer einen Feensturmvogel (Prion) scharf aufs Bild bekommt.
02.-03. Februar 2015 – Einen Tag brauchen wir, um das Packeis nördlich von Kap Adare zu durchfahren, insgesamt stellt sich das alles recht unproblematisch heraus. Wenn man das mit den 43 Tagen vergleicht, die die Antarctic 1895 brauchte, um das Kap Adare von Norden zu vergleichen … ich weiß der Vergleich ist unfair, Kapitän Kristensen hatte keine Eiskarten, keinen Stahlrumpf und keine 3200 Kilowatt im Maschinenraum. Trotzdem, man sollte das im Kopf haben, um sich klar zu machen, in was für einer Umgebung wir hier sind.
Das Wetter meint es gut mit uns. Windstill und sonnig ist es, eine Kreuzfahrt im Südozean, man steht an Deck, lässt es sich gut gehen, in der Hand eine Tasse, die Kamera über die Schulter hängend. So lässt es sich leben. Mal schauen, wie lange es so bleibt.
Am Kap Adare wird aus der Rossmeerküste die Küste der Ostantarktis. Ein hoher Felsrücken, der sich in den Südozean hinausschiebt. Kein Wunder, dass an einem solchen Hindernis alle Winde, Wolken und Treibeisfelder der gesamten Umgebung hängenbleiben, und davon gibt es ja eine ganze Menge.
Man muss also auf alles eingestellt sein, wenn es in diese Richtung geht. Das Beste hoffen, auf das Schlechteste eingestellt sein, so haben es die Polarfahrer schon immer gemacht, jedenfalls diejenigen, die wussten, worauf sie sich einließen, und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Zugegeben, ich hatte trotzdem große Hoffnungen an eine erfolgreiche Landung, als das Kap Adare am Horizont auftauchte. Einer der bekanntesten Namen der Antarktis, geographischer Torwächter zum Rossmeer, am 11. Januar 1841 von keinem geringeren als James Clark Ross entdeckt, und schon dieser alte Haudegen kam dort nicht an Land. (wieder findet sich das englische Original im englischen Blog, sprachlich lesenswerter als meine Übersetzung) „ … mit auflandigem Wind, und kräftiger Brandung an der Eiskante, fanden wir es ziemlich unpraktikabel.“ Aber die Landschaft gefiel ihm: „Es ist ein bemerkenswerter Anblick hoher, dunkler, vermutlich vulkanischer Klippen, und bildet einen starken Kontrast zur übrigen, schneebedeckten Küste. … Es war ein wunderbar klarer Abend, und wir hatten den bezauberndsten Blick auf die zwei großartigen Bergketten, deren luftige Gipfel, perfekt mit ewigem Schnee bedeckt, bis in Höhen zwischen sieben und zehntause nd Metern über das Meer reichten. Die Gletscher, welche die dazwischenliegenden Täler füllten, stießen vielerorts viele Meilen ins Meer vor und endeten in hohen, senkrechten Eiswänden. An einigen Stellen traten Felsen durch das Eis hervor, und nur daher konnten wir sicher sein, dass Land den Kern dieses, wie es schien, enormen Eisberges bildete.“
Wie unglaublich war es, als sogar die leichte Brise abflaute, während wir uns dem berühmten Kap näherten – und zwar unter einem makellos blauem Himmel. Von den paar Leuten, die ich kenne und die dort schon einmal waren, wird das keiner glauben. Nur ein dichter Packeisgürtel noch zwischen der Ortelius und der dunklen Halbinsel, also werden die Hubschrauber startklar gemacht. Wenn der alte Ross das gesehen hätte!
Die Ufer am Kap Adare sind Steilklippen, die eigentliche Landestelle ist eine kleine, flache Halbinsel westlich davon. Ein Dreieck aus dunklem Kies, vulkanischer Herkunft und von der ewigen Brandung zu einer Serie von Strandwällen aufgeschüttet, zwischen denen sich ganz typische, kleine, längliche Lagunen erstrecken. Weißblau schimmernde Eisberge und dicht gedrängte Treibeisschollen auf blauschwarzem, stillen Wasser sind aus der Luft ein überirdisch schöner Anblick, und schon von oben waren die vielen Pinguine erkennbar. Ridley Beach, so heißt die kleine Halbinsel, beherbergt eine der größten Kolonien der Adéliepinguine der Antarktis, oder sogar die größte. Von 250.000 Brutpaaren ist die Rede, das sind weit über eine halbe Million Tiere. Dafür finden wir bald erstaunlich viele pinguinfreie Flecken, vielleicht liegt dort zuviel Schnee zu Beginn der Brutsaison. Andererseits haben sie steile Hänge bis in 300 m Höhe in Besitz genommen. Erstklassige, unverbaubare Sicht, aber der Wetterschutz ..? Von den Mühen vor jeder einzelnen Fütterung der Küken gar nicht zu reden.
Menschen entwickeln in Großstädten komische Verhaltensweisen. Pinguine auch. 1911 verbrachte einer von Scotts Biologen den antarktischen Sommer am Kap Adare und machte erstaunliche Beobachtungen. Seine Beschreibungen der „sexual habits of the Adélie penguin“ waren so bizarr, dass man sie zunächst gar nicht veröffentlichen wollte. Erst hundert Jahre später wurde das kurze Papier ausgebuddelt, anhand späterer Beobachtungen für glaubwürdig befunden und 2012 veröffentlicht (in Polar Record). Interessanter Lesestoff.
Am Kap Adare tobt nicht nur das Pinguinleben, hier haben auch einmal Menschen für ein Jahr gelebt. Das war Carsten Borchgrevinks Überwinterung von 1899, zu zehnt haben sie in einer viel zu kleinen Hütte gehockt, viel zu wenig Beschäftigung gehabt und sich gegenseitig das Leben zur Hölle gemacht. Aber sie waren die ersten, die auf antarktischem Land überwintert haben. Die Hütte steht noch, sie ist die älteste der Antarktis, eine Ikone der Polargeschichte, das einzige Gebäude weltweit, das für sich in Anspruch nehmen kann, das erste eines ganzen Kontinents zu sein.
Hunderttausende Pinguine, antarktisches Panorama auf höchstem Niveau, die älteste Hütte des Kontinents – man darf glauben, dass die Stimmung gut war, als nach einem langen Nachmittag alle wieder an Bord waren. Eis und Glühwein auf dem Außendeck zur Feier des Tages, Eis im Becher, Eis ums Schiff, überall funkelt das schöne Eis in der Sonne. Es ist unser letzter Tag in der Nähe der antarktischen Küste. Heute hat die Antarktis noch einmal gezeigt, wie schön sie sein kann, und dabei alle Register gezogen.