Otto Nordenskjöld: Die Schwedische Antarktisexpedition (1901-04) mit der Antarctic
Im 19. Jahrhundert war Schweden die fleißigste Polarforschernation. Bekannte Persönlichkeiten wie Otto Torell, Adolf Erik Nordenskiöld, Alfred Gabriel Nathorst und Salomon August Andrèe hatten die internationale Arktisforschung über Jahrzehnte geprägt und auf zahlreichen Expeditionen, vor allem nach Spitzbergen, umfangreiche Erfahrung gesammelt. Natürlich verhallte der Aufruf des Geographen-Kongresses 1895 in London zur verstärkten Erforschung der Antarktis, der letzten, damals noch völlig unbekannten Großregion der Erde, in Schweden nicht ungehört. Umso erstaunlicher ist es, dass die schwedische Antarktisexpedition mit der Antarctic von Otto Nordenskjöld kaum öffentliche Unterstützung erhielt. Nordenskjöld musste sich sogar selbst verschulden, damit sie zustande kam.
Otto Nordenskjöld in der Hütte auf Snow Hill Island.
Nils Otto Gustaf Nordenskjöld (1869-1928) war Geologe und hatte sich bereits auf Expeditionen nach Patagonien, Alaska und Ostgrönland verdient gemacht. Dass er der Neffe des berühmten Adolf Erik Nordenskjöld war, hat sicher nicht geschadet. Er kaufte das norwegische Schiff Antarctic, eine 1871 gebaute Dreimastbark mit Dampfmaschine, mit der schon Borchgrevink 1895 in der Antarktis gewesen war. Als Kapitän konnte er den bekannten Walfänger Carl Anton Larsen gewinnen, der bereits über Antarktis-Erfahrung verfügte und bald nach der Expedition Grytviken in Südgeorgien gründete.
Das Schiff Antarctic im Eis.
Vorbereitungen
Nordenskjölds Plan war, die Ostseite der Antarktischen Halbinsel zu erreichen und dort in einer Hütte zu überwintern, während die Antarctic während des Winters nach Südamerika zurückkehren würde. Als Ziel hatte der Geologe eine der Inseln Seymour oder Snow Hill ausgesucht, deren Reichtum an Fossilien bekannt war, so dass lohnende geologische Arbeiten zu erwarten waren. Darüber hinaus sollte es neben der Entdeckung und Vermessung neuer Gebiete ein umfangreiches Forschungsprogramm in Sachen Erdmagnetismus und Meteorologie geben. Diese Forschungen waren mit den ungefähr gleichzeitig verlaufenden Expeditionen des Engländers Scott (Discovery), des Schotten Bruce (Scotia) und des Deutschen Drygalski (Gauß) koordiniert, zusätzlich hatte Argentinien sich bereit erklärt, die Arbeiten mit einer Station auf Staten Island vor dem Beagle Kanal zu unterstützen.
Anreise
Am 16. Oktober 1901 legte die Antarctic in Göteborg ab und erreichte am 24. November Buenos Aires, wo neben Kohle und Verpflegung der argentinische Leutnant José Sobral an Bord kam, dessen Mitnahme die argentinische Regierung als Gegenleistung für die Unterstützung ausgehandelt hatte. Sie bestand sogar kurzfristig darauf, dass Sobral auch an der Überwinterung teilnahm, wozu Nordenskjöld sich nach einem Gespräch mit dem Leutnant bereit erklärte. Auch der Amerikaner Frank Wilbert Stokes ging in Buenos Aires als Maler und zahlender Gast an Bord.
Am 06. Oktober erreicht die Antarctic Staten Island und am 11. Januar die Südshetland Inseln. In der Annahme, dort eine Passage zum Weddellmeer zu finden, fuhr Nordenskjöld auf der Westseite der Antarktischen Halbinsel nach Süden, erkannte aber südlich von Brabant Island seinen Irrtum und folgte der Küste nun nach Norden, bis zwischen der nördlichen Halbinsel und Joinville Island eine Passage gefunden wurde, die nach dem Schiff benannt wurde und bis heute als Antarctic Sound bekannt ist. Dies Eisbedingungen erwiesen sich als schwierig, und nach mehrwöchigen Versuchen, weiter nach Süden vorzustoßen, gelang es schließlich am 14. Februar, auf Snow Hill Island einen geeigneten Platz für den Bau der Überwinterungshütte zu finden. Bald darauf verließ die Antarctic Snow Hill Island. Zurück blieben Nordenskjöld, Sobral, 2 Wissenschaftler, ein Hundeschlittenfahrer und ein Matrose.
Nordenskjölds Haus auf Snow Hill Island.
Die Überwinterung auf Snow Hill Island (1902)
Die wissenschaftlichen Arbeiten wurden bald aufgenommen: Nordenskjöld sammelte fleißig Fossilien, und es wurden regelmäßig die verabredeten magnetischen und meteorologischen Messungen durchgeführt. Darüber hinaus widmete der Arzt und Bakteriologe Erik Ekelöf sich den mikroskopisch kleinen Nachbarn der Pinguine. Exkursionen mit Booten und Hundeschlitten gaben Aufschluss über die geographische Beschaffenheit der Umgebung: unter anderem wurde dabei festgestellt, dass Snow Hill Island, das bis dahin einfach nur Snow Hill geheißen hatte, tatsächlich eine Insel war. Auf einer längeren Schlittenreise gelang es im Oktober 1902, den südlich gelegenen Larsen Eisschelf zu entdecken, den bis dahin noch niemand gesehen hatte.
. Heute bNordenskjölds Haus auf Snow Hill Island (2006).
Im folgenden Sommer blieb das Eis um Snow Hill Island allerdings dicht und fest, und im Januar 1903 erkannte Nordenskjöld, dass eine zweite Überwinterung nicht zu vermeiden war.
Die Fahrt der Antarctic
Am 05. März 1902 hatte die Antarctic zunächst Ushuaia erreicht und verbrachte die folgenden Monate auf den Falklandinseln und in Südgeorgien erfolgreich mit verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten, darunter Lotungen und biologische Forschungen auf hoher See sowie geologische Erkundungen sowohl auf den Falklands als auch in Südgeorgien. Schließlich verließ die Antarctic, deren Leitung in Nordenskjölds Abwesenheit bei dem Geologen Gunnar Andersson lag, am 04. November 1902 Ushuaia, um vereinbarungsgemäß so früh wie möglich die Nordenskjölds Gruppe von Snow Hill abzuholen.
Allerdings erwiesen die Eisbedingungen sich so schwer, dass es der Antarctic trotz wochenlanger Versuche nicht gelang, ins Weddellmeer vorzustoßen. Nach einigen Fahrten hin und her beschloss Andersson Ende Dezember, es auf zwei Wegen gleichzeitig zu versuchen: Eine Gruppe von drei Männern sollte unter seiner Leitung auf der Antarktischen Halbinsel in Hope Bay (Bahía Esperanza) an Land gehen, um möglichst zu Fuß zu Nordenskjöld vorzustoßen. Gleichzeitig sollte die Antarctic unter Larsen es weiter auf dem Seeweg versuchen. Sollte das Schiff nicht bis zum 10. Februar bei Snow Hill Island erscheinen, würden Andersson und Nordenskjöld mit ihren Leuten zusammen zu Fuß nach Hope Bay zurückkehren.
Hope Bay (Bahía Esperanza). Heute befindet sich dort eine große argentinische Station.
Am 29. Dezember landete Andersson mit zwei Männern in Hope Bay. Damit war die Expedition in 3 Gruppen aufgeteilt: die Andersson-Gruppe in Hope Bay, Nordenskjöld mit der Überwinterungsgruppe auf Snow Hill Island und das Schiff Antarctic.
Der Untergang der Antarctic und die Überwinterung auf Paulet Island (1903)
Erneut versuchte Larsen, östlich von Joinville Island ins Weddelmeer vorzustoßen. Dies gelang zunächst, aber während eines Sturms wurde die Antarctic am 11. Januar 1903 im Eis südöstlich von Paulet Island schwer beschädigt. Nach ein paar Wochen war die Besatzung gezwungen, das Schiff am 12. Februar zu verlassen. Kurz darauf sank die Antarctic.
Die Antarctic sinkt.
Nach 16 Tagen Marsch über das Eis gelang es der Mannschaft unter Larsen, Paulet Island zu erreichen.
Paulet Island.
Dort wurde aus Stein eine Hütte gebaut, da Rettung nicht absehbar war und somit eine Überwinterung bevorstand. Die Vorräte wurden mit Robben, Eiern und Adeliepinguinen ergänzt: auf Paulet Island befindet sich eine der größten Brutkolonien dieser Art.
Die Steinhütte von Larsens Gruppe auf Paulet Island (2012).
Den Umständen entsprechend, verlief der Winter erträglich. Allerdings starb der Matrose Ole Wennersgaard am 20. Juni 1903 im Alter von nur 20 Jahren an einer Krankheit. Er wurde ein Stück entfernt von der Hütte begraben. Sein Grab ist noch heute zu sehen, umgeben von Adeliepinguinen.
Das Grab von Ole Wennersgaard auf Paulet Island.
Immerhin hatte man das Rettungsboot von der Antarctic retten können, das tatsächlich später zur Rettung wurde: Anfang November 1903 machten Larsen und 5 seiner Männer sich damit auf den Weg nach Snow Hill, dem einzigen Ort, von dem alle wussten, dass sich dort ein Teil der schwedischen Expedition befinden musste.
Die Überwinterung in Hope Bay (1903)
Nach der Landung in der Hope Bay am 29. Dezember 1902 machten Gunnar Andersson und seine 2 Begleiter, Kartograf Duse und Matrose Toralf Grunden, sich unverzüglich auf, um nach Snow Hill Island zu Nordenskjöld zu gelangen. Südlich von Vega Island stießen sie allerdings auf offenes Wasser, das sie ohne Boot unmöglich überqeren konnten. Immerhin war Andersson nun zuversichtlich, dass die Antarctic schließlich Snow Hill Island erreichen und die Überwinterer dort abholen würde. Am 13. Januar kam die Andersson-Gruppe zurück nach Hope Bay und begann nach einer Weile sicherheitshalber, sich auf eine Überwinterung vorzubereiten für den Fall, dass die Antarctic nicht zurückkehren würde. Sie bauten eine kleine Steinhütte und deckten sich mit Pinguinen, die auch in Hope Bay in sehr großer Zahl brüten, und Robben ein.
Überwinterungshütte von Andersson, Duse und Grunden in Hope Bay.
Überwinterungshütte in Hope Bay (2007).
Die zweite Überwinterung auf Snow Hill Island (1903)
Nordenskjöld widmete sich weiter den wissenschaftlichen Arbeiten, musste aber auch längere Ausflüge machen, um Pinguinkolonien zu erreichen und sich so mit Verpflegung eindecken zu können. Auch der zweite Winter, der sich recht mild präsentierte, verlief den Umständen entsprechend problemlos, und Nordenskjöld konnte weitere Schlittenreisen unternehmen.
In der Hütte auf Snow Hill Island.
Die „Stationsschlucht“ hinter der Hütte auf Snow Hill Island.
Im Oktober gelang so die Umrundung von James Ross Island, die so erst als Insel identifiziert werden konnte. Während dieser Reise kam es vor Vega Island zu einem gewaltigen Glücksfall.
Das Treffen bei Kap Well-met, Vega Island
Am Ende des Winters 1903 hatten Andersson und seine 2 Männer sich erneut von Hope Bay auf den Weg nach Süden gemacht, um Nordenskjöld auf Snow Hill zu erreichen. Durch einen grandiosen Zufall trafen die Gruppen von Andersson und Nordenskjöld am 12. Oktober 1903 vor Vega Island aufeinander. Beide Gruppen hatten zunächst Schwierigkeiten, sich gegenseitig zu erkennen, da alle mit Dreck verkrustet waren und mehr nach einer Art Ureinwohnern aussah als nach schwedischen Polarforschern, aber bald war die Freude groß. Allerdings wusste keiner etwas vom Schicksal der gesunkenen Antarctic und der Mannschaft, die sich in einer Steinhütte auf Paulet Island befand.
Kap Well-met, Vega Island.
Rettung
In Argentinien und Schweden hatte man zwischenzeitlich verstanden, dass es in der Antarktis zu Schwierigkeiten gekommen sein musste. So machten sich 2 Schiffe auf den Weg: die Korvette Uruguay aus Argentinien und der Walfänger Fridtjof aus Norwegen. Am 01. November 1903 legte die Uruguay unter Leutnant Julián Irizar in Ushuaia ab. Im Südsommer 1903-04 waren die Eisbedingungen im Weddellmeer um Größenordnungen besser als im Vorjahr, und so gelang es der Uruguay schon nach einer Woche, Seymour Island nördlich von Snow Hill zu erreichen. Dort stieß Irizar auf 2 von Nordenskjölds Überwinterern. Am 08. November hatten Irizar und ein Begleiter zu Fuß die Hütte auf Snow Hill erreicht, und man machte sich daran, das wichtigste Gepäck einschließlich der umfangreichen biologischen und geologischen Proben zur Uruguay zu schaffen. Dort war mittlerweile Larsen eingetroffen, der den Weg von Paulet Island zusammen mit 5 Männern im Rettungsboot der Antarctic zurückgelegt hatte. Nachdem der Rest der Mannschaft am 11. November von Paulet Island abgeholt worden war, war die schwedische Expedition vollständig auf der Uruguay versammelt, abgesehen vom auf Paulet Island gestorbenen Matrosen Wennersgaard. Abschließend wurde auch in Hope Bay noch die dort von Andersson angelegte Fossiliensammlung abgeholt, und dann wurde die Rückreise nach Argentinien angetreten. Am 02. Dezember 1903 traf die Uruguay in Buenos Aires ein und wurde dort mit großem Jubel empfangen.
Nachspiel
Nordenskjölds Expedition hatte ihr Schiff im Eis verloren und war letztlich in 3 Gruppen aufgeteilt worden, die unabhängig voneinander und weitgehend ohne voneinander zu wissen unfreiwillig überwinterten, im Fall von Nordenskjölds Gruppe zum zweiten Mal nach der ersten, geplanten Überwinterung. Zieht man all diese Umstände in Betracht, erscheint es als ein Wunder, dass die Expedition nicht zur Katastrophe wurde. Mit viel Glück und Tüchtigkeit meisterten alle 3 Gruppen den Winter, wozu die 3 fähigen Leiter Otto Nordenskjöld (Snow Hill), Gunnar Andersson (Hope Bay) und Carl Larsen (Paulet Island) sicher jeweils wesentlich beitrugen. Die Geschichte der Antarctic-Expedition ist eine der großen Überlebensgeschichten der Antarktis und wäre sicher bekannter, wenn sie fotografisch so gut dokumentiert und medial so ausgeschlachtet worden wäre wie später Shackletons Endurance-Expedition, mit der sie in Bezug auf die Dramatik durchaus verglichen werden kann.
Karte vom Admiralty Sound, James Ross Island und Snow Hill Island, hergestellt nach Nordenskjölds Antarctic-Expedition.
Im Gegensatz zu Shackleton brachten Nordenskjöld und seine Leute allerdings auch umfangreiches wissenschaftliches Material mit nach Hause. Neben der wichtigen Vervollständigung des meteorologisch-magnetischen Messnetzes, das die 4 gleichzeitigen Expeditionen von Nordenskjöld, Scott, Drygalski und Bruce um die Antarktis spannten, waren die Geologen Nordenskjöld und Andersson auf Snow Hill Island, Seymor Island und in Hope Bay auf einige der wichtigsten Fundstätten für Fossilien in der Antarktis gestoßen. Die Interpretation dieser Funde trug wesentlich zum Verständnis der erdgeschichtlichen Entwicklung nicht nur der Antarktis, sondern auch der umliegenden Kontinente als Überbleibsel des ehemaligen Südkontinents Gondwana bei und damit ganz allgemein zur Entwicklung der Geologie.
Ammonit aus der Kreidezeit, Snow Hill Island.
Neben der Bearbeitung der Ergebnisse waren es vor allem die unerfreulichen Finanzen der Expedition, die Otto Nordenskjöld noch lange beschäftigten.