Ein gar nicht so kleines Wunder ist geschehen! Ich sitze im Zug von Frankfurt nach Dresden.
Gestern war das alles irgendwie noch fern und kaum zu glauben, nach all dem Hin und Her. Und doch ging es auf einmal. Alle haben, so gut es ging, Flüge gebucht. Was natürlich nicht ganz einfach war. Wenn das Schmalspur-Internet an Bord einen zum x-ten Mal beim Bezahlvorgang aus der Spur wirft oder es aufgrund von Missverständnissen zu teuren Doppelbuchungen kommt, dann kann man es vor dem Hintergrund der Gesamtsituation schon verstehen, wenn die Emotionen mal hoch gehen.
Aber viele waren bald mit Flügen versorgt, und nun sieht es so aus, als könnten über die nächsten 2-3 Tage hinweg alle die baldige Heimreise antreten.
Ich war gleich in der ersten Gruppe, die als Versuchskaninchen für den „sanitaire corridor“ herhalten durfte. Darunter ist ein Bus zu verstehen. Fahrer hinter Glasscheibe, klar. Vorweg ein Krankenwagen und eine ganze Traube Polizisten auf Motorrädern, mit Blaulicht und Lalülala. Muss man ja nicht verstehen, eine halbe Stunde früher losfahren hätte es auch getan, aber egal.
Sehen konnte ich unterwegs praktisch nichts und fotografiert habe ich auch nicht, ich saß nämlich im Bus auf dem Boden, wie auch einige andere. Der Superhygienebus war nämlich recht überfüllt 🙂
Ab Flughafen Montevideo dann: eigentlich eine ganz normale Reise, nur mit der – für uns zunächst verpflichtenden – Maske. Natürlich weniger Reiseverkehr als sonst, aber sogar mehr, als ich gedacht hätte. Ich bin ja sehr gespannt, wie die neue Realität uns Antarktonauten nun empfängt, erst mal wird wohl nichts mehr sein, wie es war, als wir in Neuseeland an Bord gegangen sind. Und sooo lang ist das nun auch wieder nicht her.
So geht diese Reise nach Hause nun also überraschend gut und schnell zu Ende. Ich hoffe sehr, dass das auch für alle so sein wird, die noch in Montevideo auf der Ortelius und der Plancius sind – auch von der Plancius konnten gestern die ersten abreisen. Ich drücke allen die Daumen! Gute, schnelle, sichere und gesunde Heimreise Euch allen!
Um es klar zu sagen: Natürlich war das jetzt kein Wunder (auch wenn es sich gerade so anfühlt), sondern das Ergebnis unendlicher Verhandlungen auf unzähligen Kanälen auf vielen Ebenen. Ein ganz großer Dank geht dafür von mir an Oceanwide Expeditions!
Bis hierher sind wir nun schon mal gekommen: In den Hafen von Montevideo. Wenn es gut läuft, dann war das vorhin der letzte, schöne Sonnenaufgang auf See für die meisten, dieses Mal mit der Kulisse von Montevideo im Mittelgrund.
Großartige Stimmung gestern beim mutmaßlich letzten Abend mit allen zusammen an Bord, der Ortelius-Chor trat auf und es wurden noch viele Lieder gesungen. Abschied.
Drücken wir die Daumen, dass es wirklich der letzte Abend mit allen zusammen an Bord war. Noch sind wir alle auf dem Schiff. Ab heute und über mindestens drei Tage hinweg sollten nach und nach die meisten abfliegen. Nicht alle. Einige wollen lieber an Bord bleiben, andere kommen aufgrund der Reisebeschränkungen nicht mehr in ihre Heimatländer. Mal schauen, was die nächsten Tage hier noch alles bringen, noch ist längst nicht alles entschieden und schon gar nicht alles gelaufen.
Die Tage auf der Fahrt nach Norden, vom Beagle-Kanal zum Rio de la Plata, wo Buenos Aires (wer weiß, wer weiß …) und Montevideo (unsere aktuelle Hoffnung) liegen, gestalteten sich erstaunlich angenehm. Viele fanden einigermaßen wieder zurück zu ein wenig innerer Ruhe und konnten sich über das offene Meer, blauen Himmel und schöne Sonnenuntergänge freuen, über Vögel, Delfine und Wale, den einen oder anderen Vortrag oder Film und ganz allgemein über eine gelöste Stimmung.
Im Hintergrund wird fleißig weiter verhandelt. Konsulate, Botschaften, Regierungen, Reisebüros, und natürlich Oceanwide Expeditions in Vlissingen (Niederlande), wo die Fäden zusammen- und die Drähte heißlaufen.
In Ushuaia war also nichts zu machen, wir mussten an Bord bleiben. Wir waren schon für alle Fälle gerüstet, hatten Diesel, Lebensmittel und Medikamente für gut einen Monat an Bord genommen – damit würden wir bei Bedarf auch bis nach Holland kommen.
Wobei wir nach Möglichkeit natürlich gerne schneller nach Hause wollen. Ob es die Arbeit ist, die ruft, oder Angehörige – jeder und jede hat gute Gründe. Aber das Corona-Virus versperrt derzeit so ziemlich alle Wege. Argentinien droht damit, komplett dicht zu machen, und bevor wir eventuell gar nicht mehr weg dürfen, fahren wir los.
Zunächst hieß es, wir könnten von Buenos Aires aus fliegen, nur bis dorthin müssten wir mit dem Schiff fahren. Ein gültiges Flugticket sei Voraussetzung, um das Schiff verlassen zu dürfen. Natürlich nicht für eine normale Einreise ins Land, sondern nur für einen »sanitären Korridor« (ich stelle mir darunter eine Art isolierten, bewachten Bus vor) zum Flughafen, und dann direkt ab. So wurden fleißig Flüge bestellt.
Diese Hoffnung währte nicht lange. Argentinien würde schneller dicht machen, als wir nach Buenos Aires gelangen würden, ein paar Tage brauchen wir ja für die gut 1500 Seemeilen. Das wird nichts.
Dafür gab es eine wunderschöne Passage durch den Beagle-Kanal. Da fährt man ja sonst immer nur im Dunkeln durch beziehungsweise am ersten Tag einer Reise, wenn man vor lauter Briefings und Rettungsbootübung etc. sowieso nicht viel mitbekommt.
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Vor Puerto Williams haben wir uns von unseren jeweils 3 Hubschrauberpiloten und –mechanikern verabschiedet, die endlich die Genehmigung bekamen, mit ihren Maschinen abzufliegen. Noch nicht einmal das war klar! Chilenische Hubschrauber mit chilenischen Piloten und Mechanikern wollten nach Chile und durften zunächst nicht! Die Welt ist schon irre derzeit, und die Erleichterung war überall groß, als sie dann doch grünes Licht bekamen. Es wurde ein warmer Abschied mit viel Winken und Ehrenrunden ums Schiff.
Normalerweise hätten wir uns heute verabschiedet, die Passagiere wären vom Schiff gegangen, eine neue Gruppe wäre gekommen und so weiter. Aber nicht heute. Nicht in dieser vom Corona-Virus beherrschten Welt.
Wir hatten noch die leise Hoffnung, dass irgendwie doch noch etwas gehen würde. Immerhin lag direkt gegenüber die Hondius am Anleger und wir konnten zuschauen, wie dort Passagiere ausstiegen, in Busse einstiegen und zum Flughafen fuhren. Wir sahen dort auch Flieger landen und starten. Aber wir – durften nicht. Leute saßen auf gepackten Reisetaschen, mit gültigen Flugtickets in der Tasche. Es half alles nichts.
Der Unterschied zwischen Ortelius und Hondius? Hondius ist von Ushuaia in die Antarktis und zurück nach Ushuaia gefahren und hat damit aus argentinischer (!) Sicht eine Inlandsreise in Argentinien gemacht, plus etwas hohe See. Und wir mit der Ortelius? Haben eine internationale Reise gemacht, denn wir kommen ja aus Neuseeland. Dass wir 32 Tage unterwegs waren, ohne unterwegs irgendwelche Menschen gesehen zu haben – wen interessiert’s.
Danke, Argentinien!
So ging der Tag dahin und damit die Hoffnung, die Heimreise doch noch auf normalem und einigermaßen direktem Wege antreten zu können, und schließlich wurden die Taschen wieder ausgepackt.
Diese Reise hatte so gut angefangen, aber nun war das Glück uns nicht mehr hold. Nach einem stürmischen Tag von Ross Island Richtung Ross Eisschelf begann das südliche Rossmeer auf großer Fläche zuzufrieren. Wunderschön anzusehen, aber eine weitflächige, zähe Masse, die uns Geschwindigkeit und damit wertvolle Zeit kostete.
Den Ross Eisschelf am Rand der Bay of Whales erreichten wir am späten Abend des 04. März. Wobei »erreichten« relativ ist. In zwölf Meilen (22 Kilometern) Entfernung wurde deutlich, dass die weitere Fahrt in diese Richtung wenig Sinn hatte. Der Eisschelf war gerade mal im Fernglas erkennbar. Bei der einsetzenden Dunkelheit und einziehenden Wolken ließen wir notgedrungen auch die Hubschrauber an Deck stehen. Das überall um uns herum schnell zufrierende Meer, das aufziehende Wetter und die sichtlich knapper werdenden zeitlichen Reserven ließen keine andere Wahl als Abzug, nachdem wir dem Eisschelf einmal aus der Ferne zugewinkt hatten. Schade.
In den nächsten Tagen erlebten wir weitere Überraschungen mit dem Eis, das überall auf großer Fläche in kurzer Zeit entstand. Faszinierend und schön, aber leider auch hinderlich und zeitraubend.
Die beiden Tage, die am Ende wehtun sollten, waren der 6. und der 7. März. Unter Volldampf unterwegs Richtung Bellingshausen See und Peter I. Island, hätten wir sehr gerne ein Etmal (Entfernung innerhalb von 24 Stunden Fahrt), das war der Plan. Aber auch diese Tage verbrachten wir damit, langsam durch Eis zu kurven – völlig unerwartet, denn laut Eiskarten hätte hier weit und breit freies Wasser sein sollen. So waren wir am 7. März früh 20 Meilen weiter von Peter I. Island entfernt als 2 Tage früher zur selben Zeit. Zwei volle Tage verloren! Das war nicht gut.
Dann kamen wir immerhin recht gut voran, aber nicht schnell genug, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen. Am 13. März bekamen wir in der Früh Peter I. Island in den Blick, wenn auch recht wolkenverhangen und stürmisch.
Schon zuvor war klar geworden, dass wir aus Zeitgründen notgedrungen gezwungen waren, von der Peter I. Insel aus direkt Kurs auf Ushuaia zu setzen. Selbst dabei durfte nun wettermäßig nicht allzu viel schief gehen, um rechtzeitig im Hafen zu sein. Die Fahrt zur antarktischen Halbinsel ließ sich beim besten Willen nun nicht mehr einbauen. Keine Frage, dass das zu Enttäuschung führte, wobei die Emotionen schon auch mal höher gingen. Ich kann nicht sagen, dass ich den Rest der Fahrt genossen hätte. Ich glaube nicht, dass ich das jemals schon mal so im Blog geschrieben habe, aber so war es nun mal.
Die Tage Richtung Tierra del Fuego verliefen überwiegend recht stürmisch. Vor allem in der Gegend ums Kap Hoorn, das wegen mäßiger Sicht nicht in den Blick kam, gab es ordentlich Rock’n’Roll.
Ushuaia erreichten wir schließlich gerade so pünktlich am Morgen des 18. März. Von hier an standen allerdings große Fragezeichen über allem weiteren: Aussteigen, Verabschieden, Heimreise – die anschließende, letzte Fahrt der Ortelius zur Antarktischen Halbinsel war ohnehin bereits abgesagt worden. Das Corona-Virus hat die Welt außerhalb der Antarktis nun fest im Griff, und was das für uns bedeutete, würde sich erst noch zeigen müssen.
Die Wettervorhersage versprach ein günstiges Fenster für diesen Vormittag. Wir haben uns rechtzeitig am Kap Evans im McMurdo Sound in Position gebracht und waren gespannt. Immer noch deutlich über 20 Knoten Wind (Windstärke 5-6), das ist nicht gerade optimal, vorsichtig formuliert, und zusammen mit -12°C auch recht frisch.
Es ging aber. So hatten wir alle die Möglichkeit, die berühmte Discovery-Hütte zu besuchen, die während Scotts letzter Expedition gebaut wurde und von der aus er seinen Marsch zum Südpol begann, von dem er und seine Begleiter nicht mehr zurückkehrten.
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Wir hatten immer noch eine Einladung zur neuseeländischen Scott Base und da laut Info von dort die Bedingungen vor Ort günstig zu sein schienen, haben wir am Nachmittag noch einmal Kurs auf das Ende der Hut Point Peninsula im Südwesten von Ross Island gesetzt. Aber der Wind wurde rasch stärker, es war kalt und wild und bald klar, dass wir dort nichts mehr erreichen würden. So haben wir wieder nördlichen Kurs gesetzt, um Ross Island herum, Richtung Ross Island und Bay of Wales.
Auch heute steht im McMurdo Sound ein stürmischer Wind. An eine Anlandung ist erst mal nicht zu denken. Die Antarktis ist kein Ponyhof, und das Rossmeer schon gar nicht.
Aber später kommt die Sonne wieder heraus. Es ist eisig kalt, auf weiten Flächen bildet sich junges Eis. Fantastisches Licht … und überall Kaiserpinguine! Antarktis pur!
Der Tag begann, wie der gestrige endete: windig und grau. Sehr windig sogar, und sehr grau.
Auf der Westseite des McMurdo Sound schien aber die Sonne und der Wind ließ etwas nach. Fantastische Eisbildung auf dem Wasser! Auf ein paar Meilen lehrbuchartig das gesamte Spektrum von Eisschlamm auf dem Wasser über verschiedene Stadien von Pfannkucheneis bis zu soliden Schollen.
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Bald waren die Hubschrauber klargemacht, und nach und nach bekamen alle die Gelegenheit, die berühmten Dry Valleys zu betreten. Eine kleine, aber sehr feine Runde am Canada Glacier im Taylor Valley. Großartig!
Nun haben wir das Kerngebiet der Fahrt erreicht, den McMurdo Sound, das Herz des Rossmeeres.
Allerdings, wie es scheint, zum falschen Zeitpunkt. Ein Sturmtief zieht über das gesamte Rossmeer, und die halbwegs ruhige Randzone, welche die Vorhersage für den inneren McMurdo Sound versprach, existiert leider nicht. Keine Chance, bei Windgeschwindigkeiten bis zu Stärke 10 irgendwo an Land zu kommen. Cape Royds und Cape Evans ziehen an uns vorbei, später Hut Point, die große McMurdo Base und die neuseeländische Scott Base. Bis dahin ist das Meereis aufgebrochen! Das kommt auch bei weitem nicht jedes Jahr vor. Bei der Kälte – derzeit -12 Grad – fängt es aber auch schon sichtbar an, wieder zu gefrieren. Graue Streifen aus Eisschlamm ziehen sich überall über die Wellen.
Das Wetter in der Gegend um die Terra Nova Bay, auf halbem Weg zwischen Cape Adare und McMurdo Sound gelegen, ist nicht gerade prickelnd. Auf Inexpressible Island, wo Scotts „northern party“ 1912 einen unerfreulichen Winter verbrachte und China derzeit den Bau einer neuen Station vorbereitet, gibt es keine Chance zur Anlandung (juhu, endlich eine neue Station in der Antarktis! China hat bisher ja auch erst vier davon, glaube ich, und in der Terra Nova Bay gibt es bisher ja auch nur drei Stationen, da muss man dringend noch irgendwo eine weitere hinbauen!)
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Wir passieren die italienische Mario Zucchelli Base und die deutsche Gondwana Station und finden eine Bucht, die soweit geschützt ist, dass wir in die Zodiacs steigen können. Eine schöne kleine Ausfahrt mit vielen Robben, einigen Adéliepinguinen und eindrücklicher Landschaft. Später klart die Sicht mehr und mehr auf.
Frühmorgens waren wir am Kap Adare zur Landung bereit, aber die Brandung war zu hoch und das Ufer fast vollständig von großen Eisblöcken blockiert.
Dafür war das Wetter ein paar Meilen weiter südlich in der Robertson Bay umso besser. Zeit, die Hubschrauber in die Luft zu kriegen und ein paar sehr spektakuläre Eindrücke von dieser riesigen Gletscherlandschaft von oben zu kriegen.
Von den Balleny Islands zum Kap Adare ist es noch mal ein Tag auf See. Wir wachen mit Schnee auf den Decks auf, die Sicht ist immer mal von Schneeschauern getrübt und nachmittags kommt etwas Seegang auf. Solange wir gute Geschwindigkeit halten können, spielt das aber keine Rolle. Dafür werden wir den ganzen Nachmittag über von Antarktis-Sturmvögeln begleitet.
Die Balleny Islands sind eine kleine, wilde, sehr abgelegene Inselgruppe direkt am Südpolarkreis, nordwestlich vom Rossmeer. Schroffe, eisbedeckte Felsen. Es muss schon gut laufen, damit man da wirklich mal in die Nähe kommt.
Es lief gut. Zwar nicht auf Anhieb – Sturge Island wollte uns nicht so recht haben – aber bei Sabrina Island, am Südende von Buckle Island, ging es für alle in die Zodiacs. Eine Anlandung kann man hier vergessen, das lassen Seegang, Gelände und an den wenigen brauchbaren Stellen die Spielregeln nicht zu. Macht aber nichts. Man kommt mit den Booten ja wunderbar nah ran. Eine sehr wilde Uferlandschaft und viel Eis. Dazu eine tolle Tierwelt. Kehlstreifpinguine, wie man vermuten könnte. Dazwischen, ziemlich unvermutet, ein einsamer Königspinguin.