Am Kap Adare wird aus der Rossmeerküste die Küste der Ostantarktis. Ein hoher Felsrücken, der sich in den Südozean hinausschiebt. Kein Wunder, dass an einem solchen Hindernis alle Winde, Wolken und Treibeisfelder der gesamten Umgebung hängenbleiben, und davon gibt es ja eine ganze Menge.
Man muss also auf alles eingestellt sein, wenn es in diese Richtung geht. Das Beste hoffen, auf das Schlechteste eingestellt sein, so haben es die Polarfahrer schon immer gemacht, jedenfalls diejenigen, die wussten, worauf sie sich einließen, und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Zugegeben, ich hatte trotzdem große Hoffnungen an eine erfolgreiche Landung, als das Kap Adare am Horizont auftauchte. Einer der bekanntesten Namen der Antarktis, geographischer Torwächter zum Rossmeer, am 11. Januar 1841 von keinem geringeren als James Clark Ross entdeckt, und schon dieser alte Haudegen kam dort nicht an Land. (wieder findet sich das englische Original im englischen Blog, sprachlich lesenswerter als meine Übersetzung) „ … mit auflandigem Wind, und kräftiger Brandung an der Eiskante, fanden wir es ziemlich unpraktikabel.“ Aber die Landschaft gefiel ihm: „Es ist ein bemerkenswerter Anblick hoher, dunkler, vermutlich vulkanischer Klippen, und bildet einen starken Kontrast zur übrigen, schneebedeckten Küste. … Es war ein wunderbar klarer Abend, und wir hatten den bezauberndsten Blick auf die zwei großartigen Bergketten, deren luftige Gipfel, perfekt mit ewigem Schnee bedeckt, bis in Höhen zwischen sieben und zehntause nd Metern über das Meer reichten. Die Gletscher, welche die dazwischenliegenden Täler füllten, stießen vielerorts viele Meilen ins Meer vor und endeten in hohen, senkrechten Eiswänden. An einigen Stellen traten Felsen durch das Eis hervor, und nur daher konnten wir sicher sein, dass Land den Kern dieses, wie es schien, enormen Eisberges bildete.“
Wie unglaublich war es, als sogar die leichte Brise abflaute, während wir uns dem berühmten Kap näherten – und zwar unter einem makellos blauem Himmel. Von den paar Leuten, die ich kenne und die dort schon einmal waren, wird das keiner glauben. Nur ein dichter Packeisgürtel noch zwischen der Ortelius und der dunklen Halbinsel, also werden die Hubschrauber startklar gemacht. Wenn der alte Ross das gesehen hätte!
Die Ufer am Kap Adare sind Steilklippen, die eigentliche Landestelle ist eine kleine, flache Halbinsel westlich davon. Ein Dreieck aus dunklem Kies, vulkanischer Herkunft und von der ewigen Brandung zu einer Serie von Strandwällen aufgeschüttet, zwischen denen sich ganz typische, kleine, längliche Lagunen erstrecken. Weißblau schimmernde Eisberge und dicht gedrängte Treibeisschollen auf blauschwarzem, stillen Wasser sind aus der Luft ein überirdisch schöner Anblick, und schon von oben waren die vielen Pinguine erkennbar. Ridley Beach, so heißt die kleine Halbinsel, beherbergt eine der größten Kolonien der Adéliepinguine der Antarktis, oder sogar die größte. Von 250.000 Brutpaaren ist die Rede, das sind weit über eine halbe Million Tiere. Dafür finden wir bald erstaunlich viele pinguinfreie Flecken, vielleicht liegt dort zuviel Schnee zu Beginn der Brutsaison. Andererseits haben sie steile Hänge bis in 300 m Höhe in Besitz genommen. Erstklassige, unverbaubare Sicht, aber der Wetterschutz ..? Von den Mühen vor jeder einzelnen Fütterung der Küken gar nicht zu reden.
Menschen entwickeln in Großstädten komische Verhaltensweisen. Pinguine auch. 1911 verbrachte einer von Scotts Biologen den antarktischen Sommer am Kap Adare und machte erstaunliche Beobachtungen. Seine Beschreibungen der „sexual habits of the Adélie penguin“ waren so bizarr, dass man sie zunächst gar nicht veröffentlichen wollte. Erst hundert Jahre später wurde das kurze Papier ausgebuddelt, anhand späterer Beobachtungen für glaubwürdig befunden und 2012 veröffentlicht (in Polar Record). Interessanter Lesestoff.
Am Kap Adare tobt nicht nur das Pinguinleben, hier haben auch einmal Menschen für ein Jahr gelebt. Das war Carsten Borchgrevinks Überwinterung von 1899, zu zehnt haben sie in einer viel zu kleinen Hütte gehockt, viel zu wenig Beschäftigung gehabt und sich gegenseitig das Leben zur Hölle gemacht. Aber sie waren die ersten, die auf antarktischem Land überwintert haben. Die Hütte steht noch, sie ist die älteste der Antarktis, eine Ikone der Polargeschichte, das einzige Gebäude weltweit, das für sich in Anspruch nehmen kann, das erste eines ganzen Kontinents zu sein.
Hunderttausende Pinguine, antarktisches Panorama auf höchstem Niveau, die älteste Hütte des Kontinents – man darf glauben, dass die Stimmung gut war, als nach einem langen Nachmittag alle wieder an Bord waren. Eis und Glühwein auf dem Außendeck zur Feier des Tages, Eis im Becher, Eis ums Schiff, überall funkelt das schöne Eis in der Sonne. Es ist unser letzter Tag in der Nähe der antarktischen Küste. Heute hat die Antarktis noch einmal gezeigt, wie schön sie sein kann, und dabei alle Register gezogen.