Anfang Januar berichteten britische Forscher über die aktuelle Lage des „Larsen C“-Eisschelfs, in dem sich seit einigen Jahren ein gewaltiger Riss bildet. Dieses Eisschelf befindet sich an der Ostseite der Antarktischen Halbinsel. Auch das Alfred-Wegener-Institut hat auf seinem Eisblog in den letzten Monaten schon darüber berichtet. Zwischen Mai und August 2016 beobachteten die Forscher eine Verlängerung des Risses um 25 km. Im Dezember wuchs er um weitere 18 km, und das Schelfeis hängt nun nur noch an einem 20 km breiten „Faden“.
Die britischen Wissenschaftler rechnen damit, dass ein Abbruch der etwa 50’000 km² großen Schelfeisfläche noch in diesem Jahr erfolgen könnte. In den letzten Jahren haben sie dem „Larsen C“-Eis besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Denn die Abbrüche der nördlicher gelegenen Eisschelffelder „Larsen A“ (Abbruch 1995) und „Larsen B“ (Abbruch 2002) hatten einen Effekt deutlich gezeigt: Das Eisschelf fungiert als Barriere und bremst so dahinter liegende Gletscher. Geht es verloren, erhöht sich deren Fließgeschwindigkeit. „Larsen C“ umfaßt das 15-fache der Fläche des 2002 verlorengegangenen Eises von „Larsen B“ und hält dementsprechend größere Landgletschermassen zurück.
Zwei Fragen sind in diesem Zusammenhang interessant: Was sind die Ursachen für das Aufbrechen des Schelfeises? & Was sind die Folgen aus dem Verlust dieses Eises?
Zu den Ursachen haben sowohl Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts als auch des British Antarctic Survey reichlich neue Erkenntnisse gewonnen. Für „Larsen B“ war wahrscheinlich hauptsächlich der Temperaturanstieg an der Halbinsel der letzten Jahrzehnte verantwortlich. Für die letzten 50 Jahre konnten die Forscher hier einen durchschnittlichen Anstieg von 2,5 Grad nachweisen, vorwiegend für die Wintermonate. In der Folge schmolzen die Schnee- und Firnflächen auf dem Schelfeis rascher und bildeten Schmelzwasserseen. Diese Seen gefroren im Winter natürlich wieder. Dieses Eis ist jedoch wärmer und weicher als das umgebende Eis, das sich durch jahrzehntelange Ablagerung und Umwandlung aus Schnee über Firn zu Gletschereis gebildet hatte, und taut somit im nächsten Sommer schneller wieder auf. Diese Schmelzwassereiszonen im Gletschereis verändern mit der Struktur auch die Stabilität des gesamten Schelfeises. Bei „Larsen B“ führte dieser Effekt zum plötzlichen Kollaps.
Für „Larsen C“ steht nicht nur diese Ursache für das Aufbrechen im Raum. Die britischen Forscher konnten beobachten, dass die Firnfläche stark dezimiert ist durch die oben beschriebene Strukturveränderung und dass das Schelfeis durch die erhöhte Lufttemperatur an der Oberfläche schmilzt. Dazu kommt Eisverlust an der Sohle des Schelfeises durch wärmere Wasserströmungen. Durch die Erwärmung der Erdatmosphäre und das antarktische
Ozonloch verstärken sich die Westwindströmungen und der Zirkumpolarstrom. Das bringt ausreichend Energie, um wärmere, salzhaltige Wassermassen aus den Ozeantiefen über den Kontinentalsockel schwappen zu lassen. Die Ausdünnung des Eises kalkulierten die Forscher in dem Zeitraum von 1998 und 2012 auf 4 Meter.
Welche Folgen hätte der Verlust von „Larsen C“? Das Schelfeis selber hat keinen Einfluss auf den Meeresspiegel, denn als Schelfeis schwamm es schon Jahrtausende lang im Meer. Geht es aber als Barriere der dahinter liegenden Gletscher verloren, so werden diese instabil und werden, so wie im Fall der Gletscher von „Larsen B“, ihre Fließgeschwindigkeit erhöhen. Bei Letzteren verfünffachte sich die Geschwindigkeit, und die nun freien Gletscher verloren eine Menge Eis, dünnten aus und zogen sich zurück. Zusätzlich wirkt sich der Effekt des Schmelzwassers auf die Gletscherfraktionierung immer mehr aus, indem Schmelzwasser in die aufreißenden Spalten dringt und durch Wiedergefrieren die Strukturen der Landgletscher ebenfalls schwächt.
Bei einem ähnlichen Szenario für „Larsen C“ gehen die britischen Forscher von einem Beitrag zum globalen Meeresspiegelanstieg von 50 cm bis zum Jahr 2100 aus, was für viele Küstenstädte schon eine Herausforderung sein wird.