Wind scheint der große, bislang übersehene Faktor beim Themenkomplex Klimaänderung zu sein. Nun werden Wissenschaftler verstärkt darauf aufmerksam, wie Wind sich ändert und was das für Auswirkungen auf die antarktischen Gletscher hat.
In jüngerer Vergangenheit hat man sich vor allem auf die Meeresströmungen konzentriert. Warme Wassermassen nagen die antarktischen Eisschelfe von unten an. Dies führt allein beim gewaltigen Totten Glacier in der Ostantarktis zu einem Verlust von 63 bis 80 Milliarden Tonnen Eis – pro Jahr! Das entspricht unvorstellbaren 63-80 Kubikkilometern, und zwar alleine vom Totten Glacier. Immerhin ist das der größte Gletscher, aber er ist nicht allein.
Das Szenario gewinnt an Schrecken, da die subglaziale Topographie (der Fels unter dem Eis) von der Küste ins Innere des Kontinents absinkt und nicht in die Höhe steigt, wie bei anderen Kontinenten. Dies liegt an der gewaltigen Eisauflast. Somit könnte Meerwasser, wenn es einmal den Eis-Fels-Kontakt an der Grenze zwischen (auf dem Wasser auftreibendem) Schelf und (auf dem Fels aufliegendem) Gletscher überwunden hat, sozusagen eine offene Tür einrennen: durch das Abwärtsgefälle ins Landesinnere hinein könnte sich der Prozess dann verstärken.
Nun kommt der Wind als weiterer Faktor hinzu, der die Sache grundsätzlich deutlich verkompliziert, im Ergebnis aber wahrscheinlich zu einem deutlich verstärkten Abschmelzen führen wird. Dies liegt daran, dass normalerweise eine relativ dünne, aber kalte Schicht Schmelzwasser oben auf der küstennahen Wassersäule im Südozean liegt. Das Schmelzwasser mischt sich wegen seines geringen Salzgehalts nur langsam mit dem Meerwasser, so dass es dazu neigt, eine dünne, aber recht stabile und scharf abgegrenzte Schicht zu bilden. Diese Schmelzwasserschicht bildet einen Puffer zwischen dem wärmeren Wasser in der Tiefe und der Atmosphäre sowie den Eisschelfen an der Oberfläche.
Starke Winde können nun diese Schmelzwasserschicht zerreißen, so dass wärmeres Wasser aus der Tiefe an die Oberfläche kommt und dort seinen wärmenden Einfluss durch Erwärmung der Luft oder Anschmelzen eines Eisschelfs von unten wirksam machen kann.
Man geht davon aus, dass hohe Windstärken in der Westwindzone, die den Südozean um die ganze Antarktis herum umfasst, in den kommenden Jahrzehnten deutlich häufiger werden. Damit werden wohl auch Witterungslagen zunehmen, die milde Wassermassen an die Oberfläche bringen. Dies sollte wiederum zu verstärktem Abschmelzen der Eisschelfe und der landbasierten Gletscher führen.
Robuste Modellierungen und Vorhersagen dieses hochkomplexen Systems erfordern aber noch viel Forschung und Rechenzeit auf äußerst leistungsfähigen Computern. Somit kommt man unterm Strich zu den wenig überraschenden Schlussfolgerungen: 1) nehmt den Klimawandel ernst und tut etwas dagegen. 2) „more research is needed …“
Tafeleisberg im Rossmeer: Sinnbild zerfallender Eisschelfe in der Antarktis.