Grüne Eisberge, auch Jade-Eisberg genannt, sind selten, aber es gibt sie. So selten sind sie, dass ihre Existenz mitunter als Seemansgarn abgetan wird. Es gibt sie aber tatsächlich, ich habe selbst mehrfach welche gesehen. Leider ist das lange her, fotografisch gesehen noch in meiner eher steinzeitlichen Phase, so dass ich keine Fotos habe, auf denen die grüne Farbe gut zur Geltung kommt.
Grüner Eisberg (Jade-Eisberg) in der Bransfield Strait, März 2003. Fotografiert mit steinzeitlicher Fototechnik als Diapositiv und später gescannt, daher ist von den schönen Farben des Originals leider wenig übrig.
Aber wenn man das seltene Glück hat, einen solchen Eisberg zu erspähen, dann ist die grüne Farbe tatsächlich sehr auffällig. Es ist nicht nur eine grünliche Variante des weithin bekannten Blautons, den viele Eisberge haben, eventuell durch einen etwas anderen Lichteinfall bedingt. Es handelt sich tatsächlich um einen völlig anderen Farbton.
Viel wurde darüber gerätselt, was die Ursache für die grüne Farbe sein könnte. Die gängigste Theorie war, dass es sich dabei um Meerwasser handele, das an die Unterseits eines Eisschelfs angefroren sein könnte. Also kein terrestrisches, glazigenes (von Gletschern stammendes) Eis, sondern gefrorenes Meerwasser. Für die Farbe sollte der im Einzelfall hohe Gehalt dieses Wassers an organischer Substanz verantwortlich sein: eingefrorenes Phytoplankton, das dem Eis die spezielle, grüne Farbe mit auf den Weg gibt.
Nun haben die Wissenschaftler Stephen G. Warren, Collin S. Roesler, Richard E. Brandt und Mark Curran eine neue Theorie aufgestellt und ihre Ergebnisse in einem Artikel im Journal of Geophysical Research: Oceans veröffentlicht. Demnach ist tatsächlich marines Eis, also gefrorenes Meerwasser, für die spezielle Farbe verantwortlich.
Damit dieses auf der Unterseite eines Eisschelfs, also in einer Tiefe von mehreren hundert Metern, am vom Land stammenden, aufschwimmenden Gletschereis, das den Eisschelf bildet, festfrieren kann, müssen bestimmte Bedingungen gegeben sein. Das Meerwasser muss unterkühlt sein. In einer Tiefe von beispielsweise 2400 Metern friert das salzhaltige Meerwasser erst bei -3,7°C. In dieser Tiefe hat etwa der Amery Ice Shelf in der Ostantarktis seine Grounding Line, wo er also auf dem Meeresboden aufliegt.
Grüner Eisberg (Jade-Eisberg) bei den Südorkney Inseln, Januar 2009. Hier ist hat das marine Eis sich in Spalten an der Basis des Eisschelfs gebildet, wodurch das grüne Eis in das blauweiß erscheinende, terrestrische Gletschereis eingearbeitet erscheint.
Der Unterschied zur älteren Theorie ist der, dass allerdings nicht ein hoher Gehalt organischer Substanz für die spezielle Farbe verantwortlich ist, sondern Eisen. Messungen an einem Bohrkern aus dem Amery-Eisschelf ergaben für das marine Eis an der Basis des Eisschelfs keine auffällig hohen Konzentrationen organischer Substanz. Dafür war der Eisengehalt höher als erwartet.
Das Eisen ist chemisch gebunden als Teil des Tonminerals Goethit, das, wie die Autoren vermuten, primär für die auffällige Färbung verantwortlich ist. Als Quelle für das Goethit wird vom Gletscher an der Basis erodiertes Gestein vermutet.
Durch seine optischen Eigenschaften neigt fein zerriebenes Goethit zu einer gelblichen Färbung, die im Zusammenspiel mit dem dichten, blauen marinen Eis an der Schelfeisbasis durch Überlagerung der Wirkung der verschiedenen farbrelevanten Substanzen zu einer im Ergebnis grünen Färbung führt.
Komplexe Sache! So schlussfolgern auch die Autoren der Studie, dass noch weitere Studien erforderlich sind: zur genauen Zusammensetzung organischer und anorganischer Beimischungen von marinem Eis und zu den optischen Eigenschaften dieser Substanzen. Letztlich würden sich solche Erkenntnisse dazu verwenden lassen, um durch Fernerkundung der Wellenlängen des Lichts, das von Eisbergen reflektiert wird, an Daten über deren chemische Zusammensetzung zu kommen.
Das wiederum wäre ökologisch durchaus relevant: der Transport großer Mengen von Eisen, chemisch in Mineralen gebunden, mit Eisbergen in Meeresgebiete im Südozean fernab der Küste, ist für die Düngung und somit das Algenwachstum durchaus bedeutend. So gewinnen die „Jade-Eisberge“ über ihre schöne, seltene Farbe hinaus für das Ökosystem des Südozeans überraschend an Bedeutung.
Das Volumen des marinen Eises ist wahrscheinlich deutlich größer, als die Seltenheit der grünen Eisberge nahelegt. Nur kleinere Eisberge, die sich drehen können und dadurch ihr Unterstes nach oben kehren, können die grüne Farbe überhaupt zeigen. Größere Eisberge können solches Eis in großen Mengen transportieren, es bleibt aber unsichtbar unter Wasser. Und natürlich muss das Licht stimmen, und dann muss man in der Nähe sein … bei weitem nicht jeder Eisschelf produziert die Jade-Eisberge in größeren Mengen, und der Amery-Eisschelf ist so abgelegen, dass dort kaum Menschen hinkommen, von den Forschern der Stationen Mawson und Davis (beide Australien) abgesehen.