Ganz im Süden von Neuseeland weht ein ganz eigener Wind, kräftig und stetig, aber die Sonne wärmt ordentlich, die Luft ist so warm wie lange nicht mehr erlebt dank den kalten Winterwochen in Deutschland. Genau 100 Passagiere aus beinahe ebenso vielen Ländern haben sich auf der Ortelius zusammengefunden und sind gespannt, was die nächsten Wochen so bringen werden. Es ist der Anfang einer antarktischen Odyssey, über 6000 Seemeilen erwarten uns.
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Eine angenehme, leichte Brise weht während der ersten Meilen, wir haben Kurs nach Süden auf Campbell Island. Vor zwei Jahren haben wir uns die Insel eineinhalb Tage lang durch den Sturm hindurch angesehen, bis die Zeit uns zwang, sie unverrichteter Dinge zurückzulassen. Was ja durchaus schöne Eindrücke hinterlassen hat, der Blick auf die grüne Insel mit ihren wilden, schroffen Küsten, woher immer mal ein Gelbaugenpinguin zu uns geschwommen kam. Aber an Land gehen, das wäre es natürlich, da spielt nun mal die Musik. Ob es dieses Mal klappt? Wir sind gespannt und drücken die Daumen. Damit würde ein Traum in Erfüllung gehen.
2012 ließ das British Antarctic Survey eine hochmoderne Forschungsstation im Osten des Weddellmeeres errichten: Halley VI; nachdem die fünf Vorgängerstationen unbewohnbar geworden waren. Ähnlich wie die deutsche Forschungsstation Neumayer III, die 2009 erstmals von Forschern bezogen wurde, steht Halley VI auf dem Schelfeis. Schon Neumayer III wurde für ihren Standort optimiert. Sie sollte dem vorherrschenden starken Winden trotzen können und verwehter Schnee sollte sich nicht um die Station ansammeln. Eis bewegt sich und dessen Fließkräfte sollten auch den Bau nicht beschädigen können. Das Gebäude wurde auf hydraulischen Stützen errichtet, mit denen es nach und nach auf das Niveau der aktuellen Schneedecke gebracht werden kann. Doch die deutsche Station ist stationär. Am derzeitigen Standort driftet sie mit einer Geschwindigkeit von 157 Meter pro Jahr in Richtung Schelfeiskante. Die Briten verbesserten ihren Neubau, und im Februar 2012 stand ein Modulbau auf Kufen auf dem Brunt-Schelfeis. Er kann ebenso hydraulisch aus dem Schnee gehoben werden. Pro Jahr gibt es am Standort knapp 1,5 Meter Schnee, zusätzlich zu Verwehungen. Das ca. 150 Meter dicke Schelfeis unter Halley VI bewegt sich aber mit einer Geschwindigkeit von mehr als 400 Meter pro Jahr gen Eiskante. Damit die Station über die Jahre nicht verloren geht, können schwere Fahrzeuge die einzelnen Module auf ihren Skiern von ihrem Standort fortbewegen.
Als Halley VI bezogen wurde, waren südlich der Station mehrere Eisklüfte bekannt. Knapp ein Jahr später wurden nach 35 Jahren wieder Aktivitäten in den Klüften gemessen: sie begannen weiter aufzubrechen. Die Spalte, welche der Station am nächsten lag, vergrößerte sich um etwas 1,7 Kilometer pro Jahr. Sie droht nun die Station vom Festland abzuschneiden. Als im Oktober letzten Jahres sich ein Riss im nördlich gelegenen Eis auftat, entschieden sich die Verantwortlichen zu handeln und bestimmten eine Evakuierung der Station. Innerhalb von 3 Jahren soll der Umzug abgeschlossen sein. 2015/16 wurde ein neuer Ort samt sicherer Reisestrecke gesucht. Diesen Südsommer wurden zeitweilige Unterkünfte für die Arbeiter errichtet und erste Module sollen mit schweren Traktoren auf Skitour gehen. Im nächsten Sommer, so hoffen die Polarforscher, soll die Station wieder vollständig, 23 Kilometer landeinwärts, stehen. Der Versorgungsweg über die Schelfeiskante verlängert sich so auf 40 Kilometer. Aber sicher ist sicher!
Anfang Januar berichteten britische Forscher über die aktuelle Lage des „Larsen C“-Eisschelfs, in dem sich seit einigen Jahren ein gewaltiger Riss bildet. Dieses Eisschelf befindet sich an der Ostseite der Antarktischen Halbinsel. Auch das Alfred-Wegener-Institut hat auf seinem Eisblog in den letzten Monaten schon darüber berichtet. Zwischen Mai und August 2016 beobachteten die Forscher eine Verlängerung des Risses um 25 km. Im Dezember wuchs er um weitere 18 km, und das Schelfeis hängt nun nur noch an einem 20 km breiten „Faden“.
Die britischen Wissenschaftler rechnen damit, dass ein Abbruch der etwa 50’000 km² großen Schelfeisfläche noch in diesem Jahr erfolgen könnte. In den letzten Jahren haben sie dem „Larsen C“-Eis besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Denn die Abbrüche der nördlicher gelegenen Eisschelffelder „Larsen A“ (Abbruch 1995) und „Larsen B“ (Abbruch 2002) hatten einen Effekt deutlich gezeigt: Das Eisschelf fungiert als Barriere und bremst so dahinter liegende Gletscher. Geht es verloren, erhöht sich deren Fließgeschwindigkeit. „Larsen C“ umfaßt das 15-fache der Fläche des 2002 verlorengegangenen Eises von „Larsen B“ und hält dementsprechend größere Landgletschermassen zurück.
Zwei Fragen sind in diesem Zusammenhang interessant: Was sind die Ursachen für das Aufbrechen des Schelfeises? & Was sind die Folgen aus dem Verlust dieses Eises?
Zu den Ursachen haben sowohl Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts als auch des British Antarctic Survey reichlich neue Erkenntnisse gewonnen. Für „Larsen B“ war wahrscheinlich hauptsächlich der Temperaturanstieg an der Halbinsel der letzten Jahrzehnte verantwortlich. Für die letzten 50 Jahre konnten die Forscher hier einen durchschnittlichen Anstieg von 2,5 Grad nachweisen, vorwiegend für die Wintermonate. In der Folge schmolzen die Schnee- und Firnflächen auf dem Schelfeis rascher und bildeten Schmelzwasserseen. Diese Seen gefroren im Winter natürlich wieder. Dieses Eis ist jedoch wärmer und weicher als das umgebende Eis, das sich durch jahrzehntelange Ablagerung und Umwandlung aus Schnee über Firn zu Gletschereis gebildet hatte, und taut somit im nächsten Sommer schneller wieder auf. Diese Schmelzwassereiszonen im Gletschereis verändern mit der Struktur auch die Stabilität des gesamten Schelfeises. Bei „Larsen B“ führte dieser Effekt zum plötzlichen Kollaps.
Für „Larsen C“ steht nicht nur diese Ursache für das Aufbrechen im Raum. Die britischen Forscher konnten beobachten, dass die Firnfläche stark dezimiert ist durch die oben beschriebene Strukturveränderung und dass das Schelfeis durch die erhöhte Lufttemperatur an der Oberfläche schmilzt. Dazu kommt Eisverlust an der Sohle des Schelfeises durch wärmere Wasserströmungen. Durch die Erwärmung der Erdatmosphäre und das antarktische
Ozonloch verstärken sich die Westwindströmungen und der Zirkumpolarstrom. Das bringt ausreichend Energie, um wärmere, salzhaltige Wassermassen aus den Ozeantiefen über den Kontinentalsockel schwappen zu lassen. Die Ausdünnung des Eises kalkulierten die Forscher in dem Zeitraum von 1998 und 2012 auf 4 Meter.
Welche Folgen hätte der Verlust von „Larsen C“? Das Schelfeis selber hat keinen Einfluss auf den Meeresspiegel, denn als Schelfeis schwamm es schon Jahrtausende lang im Meer. Geht es aber als Barriere der dahinter liegenden Gletscher verloren, so werden diese instabil und werden, so wie im Fall der Gletscher von „Larsen B“, ihre Fließgeschwindigkeit erhöhen. Bei Letzteren verfünffachte sich die Geschwindigkeit, und die nun freien Gletscher verloren eine Menge Eis, dünnten aus und zogen sich zurück. Zusätzlich wirkt sich der Effekt des Schmelzwassers auf die Gletscherfraktionierung immer mehr aus, indem Schmelzwasser in die aufreißenden Spalten dringt und durch Wiedergefrieren die Strukturen der Landgletscher ebenfalls schwächt.
Bei einem ähnlichen Szenario für „Larsen C“ gehen die britischen Forscher von einem Beitrag zum globalen Meeresspiegelanstieg von 50 cm bis zum Jahr 2100 aus, was für viele Küstenstädte schon eine Herausforderung sein wird.
Nachtschattengewächse (Physalis) aus der Antarktis? Kartoffel, Tomate, Paprika und Tabak aus dem ewigen Eis?
Nein, natürlich nicht. Aber wenn das ewige Eis nicht gekommen wäre, dann würden manche Nachtschattengewächse, zu denen auch diese Nutzpflanzen zählen, vielleicht auch in der Antarktis wachsen. Denn Forscher haben in Patagonien Fossilen gefunden, die den heutigen Nachtschattengewächsen ähneln, zu denen eben auch unsere Tomaten, Kartoffeln und Physalis gehören, berichtet das Science Magazin in seiner Onlineausgabe. Die Fossilien werden auf ein Alter von 50 Millionen Jahren datiert.
Zu dieser Zeit lag Südamerika noch sehr dicht an der Antarktischen Halbinsel. Die Drakepassage existierte noch nicht; stattdessen trennte ein flaches Schelfmeer den Stillen Ozean vom Atlantik beziehungsweise Südamerika von der Antarktis. Gleichzeitig verlief die Grenze zwischen der subtropischen Klimazone und der gemäßigten Klimazone quer über die Antarktische Halbinsel. Das ließ die Forscher vermuten, daß diese fossilen Pflanzen wohl auch auf dem Antarktischen Kontinent wuchsen, bevor er dann vereiste und dadurch zum tomatenfeindlichsten Kontinent der Erde wurde.
Nachtschattengewächse in der Antarktis? Nein, nur Moos (Aitcho Island, Südshetland Inseln).