Seit 2002 hat das Südpolarmeer zunehmend größere Mengen des klimaschädlichen Gases CO₂ aus der Atmosphäre aufgenommen. Zu diesem Ergebnis kommen zwei Studien, die in den Fachmagazinen Science und Geophysical Research Letters veröffentlicht wurden.
Die Weltmeere gelten als wichtige CO₂-Senke. Es wird geschätzt, dass sie bis jetzt ca. ein Viertel der von Menschen emittierten Menge an CO₂ aus der Atmosphäre aufgenommen und damit den Klimawandel entscheidend abgemildert haben. Dabei ist der Südliche Ozean (gemeint ist hier: südlich des 35. Breitengrades) besonders produktiv. Obwohl er nur 26% der ozeanischen Fläche ausmacht, hat er schätzungsweise 40% zur CO₂-Senke der Ozeane beigetragen. In den 1990er Jahren hatten Messungen nahegelegt, dass diese Aufnahmefähigkeit des Meeres rund um die Antarktis abnimmt. Befürchtet wurde unter anderem eine positive Rückkopplung, nämlich, dass ausgerechnet die globale Erwärmung diesen Effekt hervorruft und sie sich damit selbst verstärkt.
Die nun veröffentlichten Studien zeigen anhand der Auswertung jahrelanger Messdaten aus der Atmosphäre und dem Oberflächenwasser des Südpolarmeeres, dass dieses seine CO₂-Aufnahmefähigkeit ab 2002 und bis mindestens 2012 wieder weiter ausgeweitet hat. Aus welchen Gründen, ist allerdings noch unklar. Eine Vermutung ist, dass im Winter zunehmend Tiefenwasser an die Oberfläche gelangt, das seit mehreren hundert Jahren keinen Kontakt mit der Atmosphäre hatte. Ob die erneute Steigerung der CO₂-Aufnahme seinerseits mit der globalen Erwärmung in Zusammenhang steht, ist nicht auszuschließen. In diesem Fall wäre der Effekt immerhin begrüßenswert.
Es gibt eine neue Pano-Tour aus der Antarktis, und zwar vom Kap Adare im Rossmeer. Kap Adare ist ein berühmter Ort in der Antarktis: 1895 Ort der ersten dokumentierten Anlandung auf dem letzten Kontinent überhaupt und 1899 Ort der ersten Überwinterung auf dem Kontinent, während der Expedition von Karsten Borchgrevink. Diese Geschichten sind im Lauf der virtuellen Tour kurz zusammengefasst, wie auch der spätere Besuch der Nordgruppe von Robert F. Scotts letzter Expedition. Die Pano-Tour dokumentiert die Hütten dieser ersten Überwinterung und zeigt die schöne Landschaft drumherum: Kap Adare liegt am nördlichen Ende von Victoria Land, dem Nordende des berühmten Transantarktischen Gebirges.
Zudem befindet sich am Kap Adare die größte Kolonie Adéliepinguine der Antarktis.
Anfang Februar hatte ich das Glück, einen seltenen Schönwettertag am Kap Adare verbringen zu können. Dabei entstanden die Panoramen, die jetzt zu einer schönen virtuellen Tour zusammengefügt sind. Viel Spaß beim Anschauen!
Panorama-Tour vom Kap Adare: Ort der ersten Landung und der ersten Überwinterung in der Antarktis, Heimat hunderttausender Adéliepinguine.
Über das Habitat Restoration Project des South Georgia Heritage Trust (SGHT) wurde an dieser Stelle schon mehrfach berichtet (siehe z.B. vorhergehende Nachricht). Dabei handelt es sich um die Herkulesaufgabe, auf Südgeorgien die dort von Robben- und Walfängern eingeschleppten Ratten auszurotten, um die Insel so wieder als Brutplatz für Millionen kleinere Seevögel herzustellen.
Vor wenigen Tagen konnte der SGHT nun eine entscheidende Pressemeldung veröffentlichen: Die dritte und letzte Arbeitsphase ist nun erfolgreich abgeschlossen! Am Montag, 23. März 2015, wurde die zumindest vorläufig letzte Ladung vergifteter Rattenköder von einem der Hubschrauber von „Team Rat“ abgeworfen.
Bis der erfolgreiche Abschluss des Projekts erklärt werden kann, ist aber noch viel Arbeit und viel Zeit vonnöten: derzeit werden früher bearbeitete Flächen überprüft, um festzustellen, ob nicht doch Ratten überlebt haben. Wären nur ein Männchen und ein Weibchen oder ein schwangeres Weibchen noch vorhanden, könnte die Population sich in kurzer Zeit wieder vollständig erholen, so dass nur ein absolut vollständiger Erfolg zählt. Diesen sicher festzustellen, wird Jahre in Anspruch nehmen.
Noch ist „Team Rat“ in Südgeorgien vor Ort und kann bei Bedarf schnell eingreifen.
Der SGHT und seine Unterstützer haben mit diesem Projekt über viele Jahre äußerst beeindruckende Arbeit geleistet und getan, was früher für unmöglich gehalten würde. Im Interesse von Millionen von Seevögeln, die wohl bald wieder auf Südgeorgien brüten können, ist dem Habitat Restoration Projekt voller Erfolg zu wünschen, und wir hoffen, dem SGHT in ein paar Jahren, nach Abschluss aller Prüfungen, zum vollständigen Erfolg gratulieren zu können.
Die fortlaufende Arbeit kann weiterhin mit Spenden oder dem Kauf des Buches Die Nebel der Zeit gefördert werden.
Seevögel vor Südgeorgien: Dank des Habitat Restoration Project werden vor allem die Populationen der kleineren Arten demnächst wieder kräftig wachsen.
Hinter dem „Habitat Restoration Project“ des South Georgia Heritage Trust (SGHT) verbirgt sich bekanntermaßen das hoch ambitionierte Projekt, Südgeorgien von der Rattenplage zu befreien. Seit Robbenfänger die Insel im Südatlantik im 19. Jahrhundert heimsuchten und dabei die Wanderratte einschleppten, hat diese sich fast überall ausgebreitet: Eine Katastrophe für Millionen kleinerer Seevögel, die im hohen Tussock-Gras oder in Erdgängen brüten. Die Bestände wurden schnell und dramatisch von den Ratten reduziert, die Gelege und Küken räubern. Größeren Vögeln wie Wanderalbatrossen und Königspinguinen und deren Nestern scheinen die Ratten nur im Einzelfall gefährlich zu werden.
Nachdem andere, allerdings deutlich kleinere subantarktische Insel wie Campbell Island und Macquarie Island südlich von Neuseeland erfolgreich von Ratten und anderen eingeschleppten Tieren befreit wurden, hat der SGHT beschlossen, das scheinbar Unmögliche zu versuchen und die Ratten auf einer Insel von der Größe Südgeorgiens auszurotten. Dabei hilft, dass die für Ratten unpassierbaren Gletscher die Insel in verschiedenere kleinere Areale unterteilen, die jeweils für sich bearbeitet werden können. Allerdings drängt die Zeit: Die Gletscher ziehen sich kräftig zurück und werden in absehbarer Zeit passierbare Strände freigeben, so dass die kleinere Gebiete zu großen Flächen zusammenwachsen, in denen die Ausrottung der Ratten technisch nicht mehr möglich wäre. Also heißt es: jetzt oder nie!
Das Verfahren, bei dem flächendeckend Giftköder aus Hubschraubern abgeworfen werden, ist ausgeklügelt, grundsätzlich aber von den erwähnten anderen Inseln wie Campbell, Macquarie und anderen früheren Projekten bekannt. Die dort involvierten Teams bringen nun ihr Wissen und ihre Erfahrung in Südgeorgien ein. Bestimmte Techniken, Köder und die Wahl der richtigen Zeit zu Beginn des Winters, wenn viele Seevögel die Brutplätze bereits wieder verlassen haben, sollen sicherstellen, dass andere Tiere nicht betroffen sind. Geringe Verluste unter Arten wie Skuas und Riesensturmvögeln sind nicht zu vermeiden, aber die Zahlen sind niedrig und weit von einem bestandsgefährdenden Ausmaß entfernt.
Eine erste Testphase auf einem kleineren Teilgelände verlief erfolgreich, wie auch die erste von zwei Hauptphasen, in denen größere Gebiete bearbeitet werden. Mehrere Hubschrauber sind im Einsatz, um die großen Flächen innerhalb der kurzen Zeit, in der das Wetter Flüge zulässt, bearbeiten zu können. Die erste Hauptphase konnte trotz widriger Wetterbedingungen erfolgreich abgeschlossen werden, nachdem anhaltend schlechtes Wetter „Team Rat“ bereits zur Verzweiflung getrieben hatte.
Der Abschluss des Projekts ist 2015 geplant. Noch sind Ratten auf großen Teilflächen in Südgeorgien verbreitet, und viele Flugstunden werden erforderlich sein, um die Arbeit erfolgreich zu beenden. Eine Kontrolle der sich schnell vermehrenden Rattenpopulation ist nicht möglich, sondern nur Erfolg im Sinn einer totalen Ausrottung oder ein totaler Fehlschlag. Überlebt auch nur ein schwangeres Weibchen, war der gewaltige Aufwand umsonst.
Erste Funde von Nestern von Vögeln innerhalb von Gebieten, in denen diese wegen der Ratten jahrzehntelang nicht brüten, zeigen, dass Erfolg möglich ist und dass der Aufwand sich lohnt. Im Januar wurden Nester von endemischen Südgeorgien-Riesenpipern in vormals rattenverseuchten Gebieten gesichtet (siehe Foto unten).
Nun hängen Wohl und Wehe am Wettergott und an der Finanzierung: Die gewaltige Logistik, um das Team, die Ausrüstung und mehrere Hubschrauber nach Südgeorgien zu schaffen (dort sind sonst keine Hubschrauber stationiert), kostet Millionen. Der SGHT freut sich über jede Spende (hier klicken, um zu spenden).
Der Inhaber dieser Seite hat James McQuilkens Buch The Mists of Time unter dem Titel Die Nebel der Zeit ins Deutsche übersetzt. Der Verkauf dieses Buches, das erzählend die abenteuerliche Lebensgeschichte des Wanderalbatrosses Cymba beschreibt, unterstützt das Habitat Restoration Project des South Georgia Heritage Trust, also die Ausrottung der Ratten auf Südgeorgien. (hier klicken für mehr Informationen über Die Nebel der Zeit). 2014 brachte der Verkauf des Buches genügend Mittel, um die Finanzierung des Projekts auf 2 Hektar Fläche zu sichern. Die Zahl der noch verbleibenden Hektar ist noch viel größer, aber jeder Beitrag zählt.
2014 finanzierte das Buch Die Nebel der Zeit die Ausrottung der Ratten auf 2 Hektar von Südgeorgien.
Nest des Südgeorgien-Riesenpipers in Schlieper Bay. Wie auch sonst in weiten Teilen von Südgeorgien, konnten dort über viele Jahrzehnte keine kleineren Vögel brüten.
Fotos und Reisebericht von der Rossmeerfahrt im Januar-Februar 2015 mit der MV Ortelius sind bereits online einzusehen. Nun ist auch die erste Sammlung von Panoramafotos veröffentlicht. Am Kap Evans ergab sich die seltene Gelegenheit, die Hütte von Scotts letzter Expedition (mit der Terra Nova, 1910-1913) und Umgebung ausgiebig mit Panoramatechnik zu fotografieren. Die Ergebnisse sind nun auf dieser Seite zu sehen (hier klicken). 10 Panoramen, 8 davon in der Hütte aufgenommen, führen durch alle Winkel der Hütte und bieten Rundumblicke über Kap Evans und die Landschaft drumherum: Mount Erebus und der innere McMurdo Sound, südlich von Kap Evans zugefroren. Hut Point Peninsula und die kleinen Inseln wie Razorback Island und Inaccessible Island, bekannt aus Scotts Reisebericht, sind zu sehen, kurze Kommentare erläutern die Bilder. Vor allem aber führt eine virtuelle Tour den Besucher durch alle Teile der berühmten Hütte, von der Robert F. Scott zum Südpol aufbrach. Bekanntermaßen starb er mit 4 Begleitern auf dem Rückweg.
09.-10. Februar 2015 – Nun liegt das Ende der Reise schon eine Woche zurück, einen letzten Blog-Beitrag muss es aber noch geben, wir können die Ortelius ja nicht bei Campbell Island zurücklassen.
Am 09. Februar erfreute der Anblick der sanft rollenden Hügel von Stewart Island, am zunächst am Horizont und dann langsam aber sicher näher rückend, die Augen aller, und das war wohl auch das Signal für die Albatrosse, sich gegen Mittag stillschweigend von uns zu verabschieden. Übrigens waren in den letzten Tagen auch noch Weißkappenalbatrosse darunter. Zugegeben, ich hatte sie zunächst für juvenile Campbell-Albatrosse gehalten. So was passiert. Aber nein, es waren voll ausgewachsene Vertreter einer Art, die ich noch nicht gesehen oder zumindest noch nie bewusst wahrgenommen habe. Wunderbar!
Das Ende einer großen Reise ist ja immer erstaunlich profan. Pässe werden gestempelt (dauerte erstaunlich lange), Gepäck vom Schiff aufs Trockene gebracht (ging halbwegs schnell), Hände geschüttelt (zuwenig Zeit), und dann gefühlt unendlich viele schwere Lebensmittelkisten für die nächsten 32 Tage in den tiefen Bauch des Schiffes geschleppt (dauerte viel zu lange). Momente der Entspannung in einem Café, welches der südlichste Außenposten seines global bekannten Mutterkonzerns sein will, in Invercargill (ein Nest) und in einer Kneipe in Bluff (dagegen ist Invercargill eine Großstadt) mit den Kollegen. Einen Tag später der Beginn einer ätzend langen, aber leider unvermeidlichen Reihe von Flügen, einmal halb um den Planeten.
Unterdessen ist die Ortelius schon wieder unterwegs, und nun, ein paar Tage später, ist sie auf gutem Weg ins Rossmeer. Campbell Island war auf dem Weg nach Süden freundlicher als ein paar Tage zuvor auf dem Weg nach Norden, soviel war schon zu hören. Nun bleibt nur, dem Schiff und allen an Bord die Daumen zu drücken für eine gute, erlebnisreiche Fahrt ins Rossmeer und darüber hinaus!
Das war’s vorerst mit meinem Antarktis-Reiseblog. Nicht lange, dann geht es in der Arktis weiter. Vorerst aber gibt es jetzt den Reisebericht und ausführliche Fotogalerien dieser Rossmeer Fahrt, und natürlich werden in den nächsten Wochen ein paar Ergebnisse meiner panorama-fotografischen Bemühungen sichtbar werden, und ich sage: es wird sich lohnen. Anfang 2013 hatte die Polar-Panoramafotografie für mich im Rossmeer ihren etwas mühsamen Anfang genommen, aber die 2 Jahre habe ich gut genutzt. Also schaut rein. Nach der Fahrt ist vor der Fahrt.
Falls die Überschrift bekannt vorkommt: Das soll so sein, das passt hier einfach zu gut. Unsere frühmorgendlichen Annäherungsversuche bei Campbell Island waren klar zum Scheitern verurteilt, Windgeschwindigkeiten von 40-50 Knoten ließen es nicht einmal zu, sich mit dem Schiff mehr als nur kurz in Perseverance Harbour aufzuhalten, der einzigen richtigen Bucht dort, die vor Seegang schützt, den Westwind aber kanalisiert und somit eher noch verstärkt. Es konnte keine Rede davon sein, Anker zu werfen oder gar die Zodiacs aufs Wasser zu setzen.
Angesichts bereits etwa 30 windigen Stunden Aufenthalt bei Campbell Island, auslaufender Zeit und einer wenig Erfolg verheißenden Wettervorhersage war der Fall damit klar: Ab auf hohe See, Kurs auf Bluff, unseren Zielhafen in Neuseeland. Campbell Island war uns einfach nicht vergönnt. Oder, wie eine Mitreisende es so schön und treffend formulierte (eigene Übersetzung): eine Insel hat das Recht, ’nein‘ zu sagen.
Der Tag auf See war einigermaßen achterbahnartig, wenn man von Wasserstraße sprechen kann, dann hat diese Straße eine Menge Schlaglöcher. Rocks on the Road. Aber wer hier wohnt, fährt auch nicht Auto oder Fahrrad und geht schon gar nicht zu Fuß. Wer hier wohnt, wurde von der Natur mit eleganten und hochausgeklügelten Flügeln ausgestattet und hat überhaupt kein Problem damit, gelassen zentimeterdicht über Wellen hinwegzugleiten, die anderen die Lust aufs Frühstück vergehen lassen. Mehr als ein Dutzend riesiger Königsalbatrosse kreist gemächlich um das Schiff herum, um alle paar Minuten erneut dicht an denjenigen vorbeizugleiten, die sich für das Schauspiel begeistern und wie angeschraubt an Deck stehen. Alle paar Minuten gehen Blicke und Kameras hoch, wenn die großen Könige oder ihre etwas kleineren Verwandten (Untertanen?) auf ihren weiten Umlaufbahnen, scheinbar Keplers Gesetzen gehorchend, an unserem kleinen Planeten name ns Ortelius vorbeirauschen.
Für ein paar goldene Momente ist dieses Vergnügen abends sogar vor der hinter einer tiefen Wolkenbank verschwindenden Sonne zu haben.
Der Südozean – das hört sich so nach Südsee an – das sind die brüllenden Vierziger, die wilden Fünfziger und die schreienden Sechziger. Auf deutsch hört sich das wohl ziemlich komisch an, man denkt da vielleicht eher an einen etwas außer Kontrolle geratenenen Männergesangsverein als an die windigsten Breitengrade des Planeten. Bei den roaring forties, den furious fifties und den screaming sixties weiß man gleich Bescheid.
Heute röhren die Vierziger wie die Hirsche im herbstlichen Wald, das ist an sich schon ein Spektakel. Natürlich konnte so keine Rede davon sein, entlang der wilden Klippen von Campbell Island auf Zodiactour zu gehen, auf der Suche nach Gelbaugen- und Felsenpinguinen und den diversen Albatrossen und Seelöwen, die es hier so gibt, geschweige denn, an Land zu gehen. Wie war das mit dem Berg und dem Propheten … Albatrosse zu Dutzenden ums Schiff herum, und geduldiges Warten wurde über kurz oder lang auch mit dem Anblick eines vorbeiplanschenden Gelbaugenpinguins und eines über die Wellen springenden Seelöwen belohnt. Habe ich jemals schon soviele der Großen Albatrosse auf einem Fleck gesehen? Ich glaube kaum. Zeitweise über 20 der „Großen“, darunter versteht man Wander- und Königsalbatrosse. Wahrscheinlich waren es allesamt Könige.
Kaum weniger interessant war der Blick auf den Windmesser. 40-50 Knoten, also 70-90 km/h, reichen eigentlich völlig aus. Spannend waren die Böen. Bis zu 84 Knoten wurden beobachtet, das sind gut 150 km/h. Windstärke 12 auf der berühmten Beaufort-Skala fängt bei 64 Knoten an, darüber hinaus ist nichts mehr definiert. Ab 64 Knoten heißt das Orkan. Wie gesagt, 84.
Hier drücken jetzt alle die ganze Nacht lang alle Daumen, dass es bis morgen früh ein wenig ruhiger wird. Dann stehen wir nämlich kurz nach Sonnenaufgang auf Campbell Island. Wäre doch noch etwas, so als Sahne auf dem Kuchen.
04.-05. Februar 2015 – Es war klar, dass es nicht ewig so schön ruhig bleiben würde. Nun, beschweren können wir uns nicht, der Wind kommt aus südlicher bis südwestlicher Richtung, so dass er uns nicht verlangsamt und somit keine wertvolle Zeit kostet. Zeit ist immer ein Schlüsselfaktor auf einer solchen Reise. Aber man merkt jetzt doch, dass wir auf einem Schiff sind. Einige sind begeistert von den großen Wellen, andere weniger.
Wer sich warm einpackt und draußen steht – das Achterdeck auf Ebene 4 ist mit Abstand der beste Platz, um Vögel zu sehen zu zu fotografieren, dort trifft man sich – bekommt eine Menge geboten. Wir sind wieder in den Albatrosbreiten, den furious fifties, die ihrem Namen nun eine gewisse Ehre machen. Bullers Albatros, Wanderalbatros, Südlicher Königsalbatros, Campbell-Albatros, Rußalbatros, habe ich einen vergessen? Dazu diverse Feensturmvögel, die omnipräsenten Kapsturmvögel und andere, deren Namen ich auf deutsch gar nicht kenne: Soft-plumaged petrel, Mottled petrel, Shearwater … man bekommt hier eine Menge geboten. Glücklich, wer einen Feensturmvogel (Prion) scharf aufs Bild bekommt.
02.-03. Februar 2015 – Einen Tag brauchen wir, um das Packeis nördlich von Kap Adare zu durchfahren, insgesamt stellt sich das alles recht unproblematisch heraus. Wenn man das mit den 43 Tagen vergleicht, die die Antarctic 1895 brauchte, um das Kap Adare von Norden zu vergleichen … ich weiß der Vergleich ist unfair, Kapitän Kristensen hatte keine Eiskarten, keinen Stahlrumpf und keine 3200 Kilowatt im Maschinenraum. Trotzdem, man sollte das im Kopf haben, um sich klar zu machen, in was für einer Umgebung wir hier sind.
Das Wetter meint es gut mit uns. Windstill und sonnig ist es, eine Kreuzfahrt im Südozean, man steht an Deck, lässt es sich gut gehen, in der Hand eine Tasse, die Kamera über die Schulter hängend. So lässt es sich leben. Mal schauen, wie lange es so bleibt.
Am Kap Adare wird aus der Rossmeerküste die Küste der Ostantarktis. Ein hoher Felsrücken, der sich in den Südozean hinausschiebt. Kein Wunder, dass an einem solchen Hindernis alle Winde, Wolken und Treibeisfelder der gesamten Umgebung hängenbleiben, und davon gibt es ja eine ganze Menge.
Man muss also auf alles eingestellt sein, wenn es in diese Richtung geht. Das Beste hoffen, auf das Schlechteste eingestellt sein, so haben es die Polarfahrer schon immer gemacht, jedenfalls diejenigen, die wussten, worauf sie sich einließen, und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Zugegeben, ich hatte trotzdem große Hoffnungen an eine erfolgreiche Landung, als das Kap Adare am Horizont auftauchte. Einer der bekanntesten Namen der Antarktis, geographischer Torwächter zum Rossmeer, am 11. Januar 1841 von keinem geringeren als James Clark Ross entdeckt, und schon dieser alte Haudegen kam dort nicht an Land. (wieder findet sich das englische Original im englischen Blog, sprachlich lesenswerter als meine Übersetzung) „ … mit auflandigem Wind, und kräftiger Brandung an der Eiskante, fanden wir es ziemlich unpraktikabel.“ Aber die Landschaft gefiel ihm: „Es ist ein bemerkenswerter Anblick hoher, dunkler, vermutlich vulkanischer Klippen, und bildet einen starken Kontrast zur übrigen, schneebedeckten Küste. … Es war ein wunderbar klarer Abend, und wir hatten den bezauberndsten Blick auf die zwei großartigen Bergketten, deren luftige Gipfel, perfekt mit ewigem Schnee bedeckt, bis in Höhen zwischen sieben und zehntause nd Metern über das Meer reichten. Die Gletscher, welche die dazwischenliegenden Täler füllten, stießen vielerorts viele Meilen ins Meer vor und endeten in hohen, senkrechten Eiswänden. An einigen Stellen traten Felsen durch das Eis hervor, und nur daher konnten wir sicher sein, dass Land den Kern dieses, wie es schien, enormen Eisberges bildete.“
Wie unglaublich war es, als sogar die leichte Brise abflaute, während wir uns dem berühmten Kap näherten – und zwar unter einem makellos blauem Himmel. Von den paar Leuten, die ich kenne und die dort schon einmal waren, wird das keiner glauben. Nur ein dichter Packeisgürtel noch zwischen der Ortelius und der dunklen Halbinsel, also werden die Hubschrauber startklar gemacht. Wenn der alte Ross das gesehen hätte!
Die Ufer am Kap Adare sind Steilklippen, die eigentliche Landestelle ist eine kleine, flache Halbinsel westlich davon. Ein Dreieck aus dunklem Kies, vulkanischer Herkunft und von der ewigen Brandung zu einer Serie von Strandwällen aufgeschüttet, zwischen denen sich ganz typische, kleine, längliche Lagunen erstrecken. Weißblau schimmernde Eisberge und dicht gedrängte Treibeisschollen auf blauschwarzem, stillen Wasser sind aus der Luft ein überirdisch schöner Anblick, und schon von oben waren die vielen Pinguine erkennbar. Ridley Beach, so heißt die kleine Halbinsel, beherbergt eine der größten Kolonien der Adéliepinguine der Antarktis, oder sogar die größte. Von 250.000 Brutpaaren ist die Rede, das sind weit über eine halbe Million Tiere. Dafür finden wir bald erstaunlich viele pinguinfreie Flecken, vielleicht liegt dort zuviel Schnee zu Beginn der Brutsaison. Andererseits haben sie steile Hänge bis in 300 m Höhe in Besitz genommen. Erstklassige, unverbaubare Sicht, aber der Wetterschutz ..? Von den Mühen vor jeder einzelnen Fütterung der Küken gar nicht zu reden.
Menschen entwickeln in Großstädten komische Verhaltensweisen. Pinguine auch. 1911 verbrachte einer von Scotts Biologen den antarktischen Sommer am Kap Adare und machte erstaunliche Beobachtungen. Seine Beschreibungen der „sexual habits of the Adélie penguin“ waren so bizarr, dass man sie zunächst gar nicht veröffentlichen wollte. Erst hundert Jahre später wurde das kurze Papier ausgebuddelt, anhand späterer Beobachtungen für glaubwürdig befunden und 2012 veröffentlicht (in Polar Record). Interessanter Lesestoff.
Am Kap Adare tobt nicht nur das Pinguinleben, hier haben auch einmal Menschen für ein Jahr gelebt. Das war Carsten Borchgrevinks Überwinterung von 1899, zu zehnt haben sie in einer viel zu kleinen Hütte gehockt, viel zu wenig Beschäftigung gehabt und sich gegenseitig das Leben zur Hölle gemacht. Aber sie waren die ersten, die auf antarktischem Land überwintert haben. Die Hütte steht noch, sie ist die älteste der Antarktis, eine Ikone der Polargeschichte, das einzige Gebäude weltweit, das für sich in Anspruch nehmen kann, das erste eines ganzen Kontinents zu sein.
Hunderttausende Pinguine, antarktisches Panorama auf höchstem Niveau, die älteste Hütte des Kontinents – man darf glauben, dass die Stimmung gut war, als nach einem langen Nachmittag alle wieder an Bord waren. Eis und Glühwein auf dem Außendeck zur Feier des Tages, Eis im Becher, Eis ums Schiff, überall funkelt das schöne Eis in der Sonne. Es ist unser letzter Tag in der Nähe der antarktischen Küste. Heute hat die Antarktis noch einmal gezeigt, wie schön sie sein kann, und dabei alle Register gezogen.
Eine Bucht und ein Kap in der Überschrift – Terra Nova Bay, Kap Hallet – beide an der Küste des Victoria Landes im Rossmeer gelegen, das deutet Spannendes an. Große Eisbergalleen im Rossmeer, gewaltige Gletscher, Pinguine und Schwertwale quasi garantiert, eventuell auch eine Anlandung, vielleicht auf Inexpressible Island, wo Scotts Nordgruppe ungewollt und dramatisch, aber letztlich erfolgreich, überwintern musste? Zodiacausfahrten, Hubschrauberrundflüge, unter der Mitternachtssonne, vorm Frühstück, von früh bis spät?
Ein sehr entspannter Tag sollte es tatsächlich werden. Wie sich zeigte, war die Küste überall viele Meilen weit von schwerem Packeis abgesperrt. Alte, harte, große Schollen, unüberwindliche Hindernisse. So blieb uns, bei tiefen Wolken und steifer Brise, fernab der Küste das Gefühl, auf hoher See zu sein, mitten im Rossmeer, das ja auch nicht gerade ein Teich ist. Nun, ein wenig Erholung von den langen Tagen, die wir bis gestern hatten, kann nicht schaden, und wir haben immer noch das Kap Adare vor uns, hoffen wir dafür das Beste.
Wir hatten gestern Abend noch einen Anlauf am Kap Royds gemacht, nur um festzustellen, dass Backdoor Bay, die dortige Anlandebucht, immer noch mit völlig unbrauchbarem Eis gefüllt ist. Und somit wurden heute zu früher Stunde wieder die Hubschrauber aus dem Hangar gezogen, und bald war der Luftbus-Schütteldienst (shuttle service) wieder in Betrieb.
Kap Royds liegt am Fuß des Mount Erebus, deutlich sichtbar vulkanisch geprägt, mit ein paar sehr auffälligen Granit-Findlingen. Eine schöne, etwas finstere Hügellandschaft, und der prächtige Anblick des Mount Erebus im Hintergrund blieb uns auch heute erhalten. Was sehr angemessen war, denn immerhin ging seine Erstbesteigung von hier aus, während der Expedition, welche die Hütte hinterließ, zu der wir jetzt unseren kleinen Pilgergang machen.
Die Nimrod-Expedition (1907-09) war Shackletons erste eigene Antarktis-Expedition und auf jeden Fall seine erfolgreichste. Beinahe hat er den Südpol erreicht, es waren keine hundert Meilen mehr, als er sich zur Umkehr gezwungen sah, „besser ein lebender Esel als ein toter Löwe“. Der Mount Erebus wurde, wie gesagt, erstmalig bestiegen, und der südliche Magnetpol erreicht, wovon James Clark Ross 1841 nur hatte träumen können.
Die Hütte ist kleiner und schlichter als Scotts verwinkelte Basis am Kap Evans. Konserven stehen in den Regalen. Alle Männer teilten sich einen großen Raum, nur The Boss himself hatte ein Winkelchen für sich, das er aber zeitweise an Kranke abtrat. Bei genauem Hinschauen findet sich sogar noch Shackletons Unterschrift auf einem Brett.
Wenige hundert Meter von der Nimrod-Hütte entfernt brüten Adeliepinguine, mehr oder weniger die südlichste Kolonie, die es überhaupt gibt. Wenn nicht die südlichste, wenn nicht am Kap Barne, ein Katzensprung von hier, nicht auch nur ein paar Nester sind.
Unser vorfrühstücklicher Ausflug dauert so lange, dass wir Kollegen es gerade noch zum Mittagessen an Bord schaffen. Zum Schluss dauert es immer lange, weil der letzte Hubschrauber immer erst dann auf dem Schiff landen kann, wenn der vorletzte zusammengefaltet und verstaut ist. Hubschrauberlogistik macht man nicht mal so schnell nebenbei. Heute hat sich aber wieder jede Minute gelohnt. Kollege Pinguinspezialist, nicht gerade ein Jünger der Polarhistorie, ist da ganz meiner Meinung. Auch ohne Shackleton-Hütte wäre Kap Royds einen Besuch wert.
Nach frühem Start und langem Morgen ist es nachmittags sehr ruhig an Bord, während wir den McMurdo-Sound verlassen und nach Norden fahren. Die wenigen Tage hier sind leider schon um, kurz war es, dafür umso schöner, sonnenverwöhnt. Meile um Meile über ruhiges, offenes Wasser, Ross Island im Blick, mit allen 3 großen Gipfeln gleichzeitig: Mount Terror, Mount Bird, Mount Erebus, dieses berühmte Trio aus gletscherbedeckten Vulkankegeln. Wie oft sieht man das so schön?
Nein, wir haben den 28.1. nicht einfach verschlafen. Den gab es bei uns nicht. Datumsgrenze.
Besser als heute kann das Wetter nicht werden. Das ist die Gelegenheit für den längsten Hubschrauberflug der Reise, nämlich in die Dry Valleys. Die Ortelius liegt in New Harbour, auf der Westseite des McMurdo Sound, und drückt ihren Bug in die etliche Meilen weite Festeisdecke. Vor der Nase haben wir das Transantarktische Gebirge, diese unglaublich gewaltige Bergkette, ein grandioser Gipfel neben dem anderen, ich weiß nicht wie viele hunderte Kilometer lang vom Kap Adare bis über den Axel Heiberg Gletscher hinaus, über 80°S hinweg. Und mittendrin diese merkwürdigen Täler, wo es selbst den Gletschern zu trocken ist.
Heute haben die Piloten viel zu tun, fast 100 Menschen von der Ortelius bis zum Canada Glacier im Taylor Valley zu befördern. Nebenbei bemerkt, waren die letzten Besucher, von Wissenschaftlern abgesehen, soweit uns bekannt im Februar 2013 hier und kamen ebenfalls von der Ortelius. Es ist nicht gerade überlaufen im Taylor Valley.
Wie alles hier, so ist auch der Besuch in den Dry Valleys genauestens geregelt, es gibt nur eine kleine Besucherzone, wo wir überhaupt hin dürfen. Das ganze Tal ist ewig weite, uralte Moräne, ein buntes Freilichtmuseum der Regionalgeologie, weite Wüste. Ein kleines Schmelzwasserrinnsal läuft vom Gletscher in den natürlich gefrorenen Lake Fryxell. Vergeblich sucht man auch nur die geringste Spur von Leben, aber man müsste wohl ein Mikroskop dabeihaben, um etwas zu entdecken und würde wohl am ehesten in den kleinen Wasserläufen und Seen fündig werden, wobei man aber keine Forellen oder Lachse erwarten sollte, sondern anpassungsfähige Mikorooganismen. Dabei haben sich sogar mehrere Robben hierher verirrt, die aber hier, über 10 km von der Küste entfernt, feststellen mussten, dass es sich ohne Wasser auf Dauer nicht gut lebt. Der Zustand ihrer traurigen Überreste zeugt von heftigen Sandstürmen in dieser polaren Kältewüste.
Von den Robbenmumien und Gletschern abgesehen, kann man sich so wohl ungefähr den Mond vorstellen.
Das Leben tobt unterdessen an der Eiskante, wo andere mit Zodiacs unterwegs sind, der Tag ist ja lang und lässt Zeit für mehr. Mehrere Herden von Schwertwalen ziehen durch die Kanäle zwischen den großen Eisplatten, wo hier und dort Adeliepinguine in kleinen Grüppchen stehen, die wahrscheinlich sehr unentspannt die großen Rückenflossen verfolgen, die regelmäßig hier und dort auftauchen. Auch die Zodiacs erregen mehrfach die friedliche Neugier dieser beeindruckenden Räuber. Ein kleiner Spaziergang auf meterdicken, betonharten Eisschollen, den Mount Erebus immer im Blick, rundet den Tag ab.
Nach diesem absolut grandiosen Nachmittag am Kap Evans waren wir gut in Schwung, also auf zum Kap Royds, nur wenige Meilen nördlich vom Kap Evans. Dort ließ sich 1907-09 Shackleton mit seiner Nimrod-Expedition nieder, nicht seine bekannteste Expedition, aber sicher seine erfolgreichste. Und die einzige, während der er eine noch sichtbare Spur in der Antarktis hinterlassen hat.
Also, schnell vorm Essen schon mal schauen, ob am Ufer alles soweit in Ordnung ist, gutgelaunt ab ins Boot – und was müssen wir sehen, Backdoor Bay ist völlig mit Eis gefüllt. Und zwar nicht nur das gute, harte Festeis, auf dem man bequem an Land spazieren könnte, sondern davor ein vom Wind zusammengeschobener Streifen kleiner Eistrümmer. Zu dicht für die Boote, zu instabil, um darüber hinweg zu laufen. Nicht hilfreich.
Also tun wir, was man sowieso am besten immer tun sollte, und denken nicht an das, was gerade nicht funktioniert, sondern freuen uns über die schöne Landung mit viel Zeit am Kap Evans und über den Anblick des Mount Erebus, der über allem hier thront und sein berühmtes kleines Rauchwölkchen vom Krater in 3,794 m Höhe in den knallblauen Abendhimmel schickt.